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Salamitaktik

Salamitaktik

Titel: Salamitaktik Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralf H. Dorweiler
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gelernt.«
    Â»Ich kann einfach kein Mathe.«
    Â»Du strengst dich nicht genug an. Ich weiß genau, dass du ein schlaues Mädchen bist. Aber du musst mehr lernen.«
    Â»Ja.«
    Â»Dann hol mir jetzt Anneni .«
    Es dauerte ein paar Sekunden, bis Irfans Frau den Hörer nahm und ihm die gleichen Fragen stellte, wie zuvor seine Tochter.
    Â»Ich habe Onkel Umut gesagt, dass ich nur noch dieses eine Mal für ihn unterwegs sein werde«, sagte er. Sein Herz schlug schneller. Er hörte, wie Gülcan in einem kurzen Stoß einatmete, wie immer, wenn sie sich freute, sich aber gleichzeitig Sorgen machte.
    Â»Und das hat er akzeptiert?«
    Gülcan war besorgt, seit sie vor einem Jahr vom Plan ihres Mannes erfahren hatte, die Geschäfte der Familie nicht mehr aktiv zu verfolgen, sondern sein eigenes kleines Geschäft, einen Laden für türkische Instrumente und Musik, zu starten. Ihre Sorge war nicht, dass ihr Lebensstil vielleicht darunter leiden könnte. Irfan hatte in den vergangenen Jahren einiges an Geld gespart. Sie würden selbst dann gut über die Runden kommen, wenn er monatelang kein einziges Instrument verkaufte. Nein, ihre Sorge bezog sich auf die Verpflichtungen, die man als Mitglied von Irfans Familie einging. Onkel Umut war ein netter alter Mann, aber weit davon entfernt, weich zu sein oder den anderen zu zeigen, dass er weich werden könnte. Er war der Patriarch, der alles zusammenhielt, auch wenn es andere gab, die ihm das streitig machen wollten. Noch traute sich keiner, sich offen gegen ihn zu stellen, aber Irfan hatte natürlich mitbekommen, dass geflüstert wurde. Umut wusste das selbstverständlich auch. Ein Narr war er nicht. Er regierte darauf mit einer Mischung aus politischer Diplomatie und brutaler Justiz.
    Irfan galt als loyaler Unterstützer Umuts, der tatsächlich sein Onkel war, der Bruder seiner Mutter. Damit stand Irfan der Führung der Familie nahe, und Umut hatte vor drei Jahren sogar versucht, Irfan noch mehr einzubinden. Der hatte allerdings schon damals die Nase voll gehabt von den schmutzigen Geschäften, die die Ihren immer wieder im guten Fall ins Gefängnis brachten, im schlechten in ein Krankenhaus und im schlimmsten unter die Erde, das Gesicht gen Mekka gerichtet. Irfan hoffte, dass ein klarer Schnitt seine Alpträume beenden würden, nachdem er mehr als einmal dafür verantwortlich gewesen war, dass für einen von Umuts Gegenspielern ein Grab ausgehoben werden musste.
    Er sprach nicht mehr lange mit Gülcan und achtete darauf, keine Namen zu nennen, um einem möglichen Mithörer nicht den geringsten Anhaltspunkt zu geben.
    Â»Küsse unsere Töchter von mir. Görüşmek üzere.
    Irfan legte sich auf das sehr weiche Bett und schloss die Augen. Nicht weil er müde war, sondern um in Ruhe nachdenken zu können. Er lenkte seine Gedanken wieder auf das Problem mit dem Koffer. Es war klar, dass der derzeitige Besitzer geplant hatte, von Frankfurt aus Postkarten zu verschicken. Anders war die Notiz auf dem Hosentaschenzettel nicht zu verstehen. Aber womöglich hatte er sie erst sehr spät abgeschickt oder die ganze Postkartenschreiberei vielleicht nur als guten Vorsatz gesehen. Im Normalfall schickte man bei einem Urlaub Postkarten an die Familie und an Freunde. Die Adressen der Menschen, die zur Familie gehörten, kannten die meisten Menschen auswendig. Also konnte er wohl davon ausgehen, dass es sich bei den drei Adressen eher um Freunde oder Bekannte des Kofferbesitzers handelte. Der Besuch bei Harry Mbene jedenfalls hatte sie nicht weitergebracht. Der bei den beiden Alten war eine Katastrophe gewesen. Und beides ließ ihn keine allzu große Hoffnung in die dritte Adresse setzen. Irfan konnte nur hoffen, dass der Mann mit dem Sucuk-Koffer die Postkarten erst kurz vor seiner Rückreise in den Briefkasten geworfen hatte. Dann würde er morgen vielleicht einen Anruf von diesem Mbene bekommen.
    Das Geräusch eines startenden Motors riss Irfan aus seinen Überlegungen. Er sprang sofort hoch und lief zum Fenster, aber von seinem Zimmer aus konnte er nicht auf den Hof sehen. Er ging zur Tür, schlüpfte schnellstmöglich in seine Schuhe und rannte ins Treppenhaus. Er nahm drei Stufen auf einmal, um möglichst schnell in den Flur im Erdgeschoss zu kommen, aber als er die Eingangstür endlich erreichte, war ihm eigentlich längst klar, was er beim Blick hinaus sehen würde:

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