Salamitaktik
Geräusch einer unglaublichen Stromkraft zu hören. Das Gerät hatte vorne zwei Spitzen aus Metall. Auch wenn er so etwas bisher nur in Filmen und Serien gesehen hatte, wusste er doch, dass er jetzt nur noch mit dem vorderen Teil den Hund berühren musste. Dann flog die Tür auf. Mario hielt den Schocker in Rottweilerhöhe vor sich und hoffte, das Tier zu treffen, bevor sich der kraftvolle Kiefer um seinen Arm schloss. Doch die Höhe stimmte nicht. Einen kraftvollen Kiefer gab es zwar, aber der Hund schaute sie nur neugierig an. Und was für ein Hund!
Mario hatte keine Ahnung, wie diese Tiere hieÃen. Schwer herabfallende Ohren von der GröÃe einer XXL -Bauarbeiterhand, so viel Haut, Fell und Falten, dass sich ein zweiter Hund mühelos darin verstecken könnte, und kurze, aber stämmige Beine wie die eines genmanipulierten Zwergelefanten. Dazu eine lange, tiefrosarote Zunge, die dem Hund unter einer schwarzen, ledrig-feuchten Nase aus dem Maul hing. Mario stellte den Schocker wieder aus und ging einfach in den gekachelten Flur hinein, ohne dass der Hund Anstalten machte, sie anzufallen. Gleich darauf hatte Irfan die Tür hinter ihnen geschlossen und betrachtete ebenfalls den niedrigen Hund mit Ãberlänge, der seinen Blick freudig wedelnd erwiderte.
»Ja, wer bist du denn?«, fragte Mario eher sich selbst, während er dem Tier den Rücken seiner freien Hand zum Schnuppern anbot. Der Hund roch nur ganz kurz daran und schien Marios Hand nicht weiter interessant zu finden. Er war noch lahmer als der alte Gustav, Opas altersschwacher Berner Sennenhund. Von einer Sekunde auf die nächste lieà das Tier sich platt auf den Boden fallen. Hätte es sie mit der gleichen Geschwindigkeit angesprungen, hätten sie keine Chance gehabt. Es schien aber zum Glück eher ein Freund der Schwerkraft zu sein. Mario bückte sich und packte in das schwarze Fell, das sich weich und etwas fettig anfühlte. Ein deutlicher Hundegeruch ging von dem Tier aus, das jetzt grunzte und sich auf die Seite legte.
»Ich glaube, wir brauchen uns keine Sorgen zu machen«, sagte Mario und gab den Schocker zurück.
»Dann holen wir uns jetzt endlich Onkel Umuts Sucuk«, entschied Irfan.
Sie befanden sich in einer Wohnung, die sich über zwei Etagen erstreckte. Eine Holztreppe mit Metallgeländer führte auf eine Galerie direkt unter dem Dach. Die Einrichtung war modern, aber einfach. Ikea, nicht unbedingt die neueste Generation. Auf der rechten Seite des Flures gab es zwei Türen, eine weitere lag geradeaus, und eine vierte befand sich am Ende auf der linken Seite. Davor öffnete sich der Flur in ein Wohnzimmer, das in eine Küche überging. Die war Irfans erstes Ziel.
An einem Haken hing eine der Würste. Von den AusmaÃen entsprach sie genau denen, die Mario transportiert hatte. Aber sie war angeschnitten.
»Allah kahretsin«, murmelte Irfan und roch an der Wurst. »Ja, definitiv eine Sucuk. Riechst du den Knoblauch?« Er hielt sie Mario hin, der sich aber schnell wegdrehte. »Jetzt fang bloà nicht wieder an zu kotzen«, schimpfte Irfan leise. »Such lieber die anderen Würste. Ich schaue hier in der Küche nach.«
Mario begann seine Suche oben. Neben einer gemütlich wirkenden Couch samt niedrigem, aufgeräumten Tisch und Fernseher fand er einen Computer, auf dessen Monitor der Bildschirmschoner lief. Eine Diashow, die Fotos von diesem Schlaicher und einer der Frauen zeigte, die gestern Abend hier gewesen waren. Offenbar waren die beiden ein Paar. Sie hielten sich nahezu auf jedem Bild im Arm oder küssten sich. Es gab auch Fotos von ihr allein, wie sie gerade dem Fotografen eine Kusshand zuwarf. Mario bewegte die Maus ein kleines bisschen, und die Fotos verschwanden und gaben den Blick auf ein Videoprogramm frei, auf dem ein verwaschenes Bild von einer Lagerhalle zu sehen war. Er setzte sich. Die Bildqualität war mies, wie von einer schlechten Webcam oder einer Ãberwachungskamera. Im Vordergrund konnte er metallene Laufbänder ausmachen, eine Menge Kartons standen daneben. Weiter hinten waren hohe Regale angebracht. Rechts war eine Treppe zu sehen, allerdings konnte man nicht mehr ausmachen, wohin sie führte. Das lag auÃerhalb des Sichtfeldes. Oben am Bildschirmrand gab es eine Zeitanzeige. Mario stellte fest, dass die Uhrzeit auf dem Monitor mit der auf seiner Armbanduhr übereinstimmte. Er rief Irfan zu sich, der
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