Salomon – Ein Engel auf Samtpfoten
Treppe nach links abbog. Von dort aus konnte man durch das Treppenhausfenster hinaussehen, gleichzeitig ein Sonnenbad nehmen und Streicheleinheiten von jedem bekommen, der nach oben oder unten ging. Der Geruch ließ erkennen, dass das Jessicas Sitzplatz war. Bald merkte ich, wie dreist sie war, wenn sie dort saß. Wehe, es ging einer vorbei, ohne sie zu beachten. Er bekam ihre Krallen zu spüren.
Jessica weigerte sich zunächst, ihre Treppe mit mir zu teilen. Aber ihre Neigung zum Angeben war stärker, also schoss sie wie der Blitz nach oben. Dort lag sie dann und wartete auf mich, Kinn auf dem Teppich, um mich sofort anzufallen, wenn ich in Reichweite kam.
Das war aufregend! Das Adrenalin machte uns süchtig. Jessica und ich verbrachten wilde Abende damit, mit angelegten Ohren und erhobenen Schwänzen die Treppen hinauf und hinunter zu stürmen. Unsere fliegenden Tatzen donnerten über den Teppich.
»Mami, sie machen es schon wieder«, quietschte John jedes Mal, wenn wir damit anfingen. Dann setzten sich alle drei hin, sahen uns zu und kicherten, bis das ganze Haus von Katzengetrappel und Gelächter erfüllt war. Das Glück füllte die Zimmer mit funkelnden Sternchen, und wenn wir dann endlich schliefen, summte das ganze Haus zufrieden vor sich hin.
»Das ist nur der Kühlschrank«, meinte Jessica, aber ich wusste es besser. Jessica war eine erwachsene Katze, die zu solchen Dingen keinen Draht mehr hatte. Ihre Barthaare zuckten missbilligend. Aber ich war jung und noch mit der unsichtbaren Welt verbunden. Glück bestand aus einer Wolke funkelnder Sterne, und es lag in unserer Macht, dieses Funkeln hervorzurufen.
Selbstverständlich war ich eifersüchtig auf Jessica. Tag und Nacht beschäftigten mich Gedanken: Ich bin Ellens Katze. Nicht du. Das läuft irgendwie falsch. Doch weil ich eine richtige Katze war, blieb ich cool. Der Schmerz bohrte sich dennoch in mein Herz.
Wenn Jessica auf Ellens Schoß hockte, war das fast nicht auszuhalten für mich. Eines Tages saß ich auf dem Fußboden und starrte Ellen an. Ich war eifersüchtig und fühlte mich einsam. Ihre Augen betrachteten mich nachdenklich, sie beugte sich zu mir herunter und nahm mich hoch an ihre Schulter.
»Bist du ein eifersüchtiges Kätzchen?«, säuselte sie. »Dafür gibt es keinen Grund, mein Süßer. Ich mag dich total gern und hoffe, dass wir dich behalten können.«
Ich hörte, wie Jessica knurrte, aber Ellen streichelte sie, bis sie sich wieder beruhigt hatte.
»Du bist ein ganz Hübscher«, flüsterte Ellen und sah mich an. »Du bist wie die Katze, die ich hatte, als ich ein kleines Mädchen war. Mach dir keine Sorgen, mein Schätzchen, ich werde mich schon um dich kümmern. In meinem Herzen ist Platz für euch beide, für dich und für Jessica.«
Danach ging es mir besser. Ich schnurrte und wühlte mich mit meinem Kopf in den weichen Glitzerschal, den Ellen trug.
Mein geschicktester Schachzug war jedoch, dass ich mich mit John anfreundete. Er hasste Jessica und fing an zu schreien, wenn sie ihm auch nur nahe kam. Und ich bemerkte, dass er fremden Katzen auf der Straße aus dem Weg ging. Jessica hatte dafür gesorgt, dass er vor allen Katzen Angst hatte.
Also saß ich schnurrend neben John, wenn er auf dem Boden spielte, und schubberte mich an ihm. Ich brachte nie seine Bausteine durcheinander oder rannte mit seinem Teddy davon, wie Jessica das gern machte. Ich wollte nicht, dass John weinte, und näherte mich ihm vorsichtig und immer schnurrend.
Eines Tages streckte er seine kleine Hand aus und berührte mein Fell. Ich kroch näher heran und gab vor, einzuschlafen, zusammengerollt neben seinen Beinen. Natürlich schnurrte ich. John blieb ganz ruhig und begann, mich zu streicheln.
»Liebe Katze«, sagte er zu Ellen.
»Er ist nicht wie Jessica. Er ist ein freundlicher, lieber Kater«, sagte Ellen. Danach wollte John mich auf den Arm nehmen und sogar mit mir spielen. Ich hatte mich sehr angestrengt, nett zu sein, und war belohnt worden.
»Wir werden dich behalten, mein Kätzchen«, erzählte mir Ellen eine Woche später erfreut. »Es hat sich niemand deinetwegen gemeldet. Dann sollten wir dir jetzt wohl einen Namen geben.«
Ich sah ihr direkt in die Augen und übermittelte ihr meinen Namen: »Salomon«. Zu meiner Überraschung verstand sie mich sofort. Ellen war wirklich ein gutes Medium.
»Ich werde dich Salomon nennen«, sagte sie. »Du bist so klug und machst nie Ärger wie Jessica. Ich bin froh, dass wir dich behalten
Weitere Kostenlose Bücher