Salomos letzte Geliebte
Für mich war sie eine rätselhafte Welt, die sich irgendwo in der Vergangenheit normalerweise verbarg und jetzt den Stoß erhalten hatte, um in die Gegenwart zu tauchen.
Zwei Augenpaare schauten den kleinen Totenkopf an. Seine Farbe war gleich geblieben. Er wirkte fahl, auch künstlich und trotzdem irgendwie unheimlich.
Dann war es mit seiner Ruhe plötzlich vorbei, denn er begann zu wandern.
Sein Weg führte genau auf uns zu. Es gab keine Abweichung. Es war die gerade Linie, die ihn an das Ziel heranbringen würde, und das waren wir.
Ich merkte, wie es in meinem Innern kribbelte. Wir standen bestimmt nicht vor der Lösung, aber diese unheimliche Sache hier würde uns einen Schritt weiterbringen.
Es blieb weiterhin still im Zimmer. Abgesehen von unseren Atemzügen war nichts zu hören, bis wir plötzlich eine Stimme hörten, die nur mich ansprach.
»John Sinclair...«
Verdammt, das war sie. Das war genau die Frau, die uns im Biergarten besucht hatte. Die gleiche Stimme, das gleiche Timbre, nur diesmal flüsternd.
»Ja, ich bin hier.«
»Wir brauchen dich...«
Ich war nicht überrascht, als ich diese geheimnisvollen Worte hörte, und wäre sogar enttäuscht gewesen, hätte man sie mir nicht gesagt.
»Ja, ich bin hier...«
»Wir brauchen dich...«
»Das weiß ich. Aber wer braucht mich?«
»Wir...«
Die Antwort gefiel mir nicht. Mir gefiel die gesamte Szene nicht. Da stand der Totenkopf in der Luft, da hörte ich die Stimme und auch noch einen Begriff, der noch gefehlt hatte.
»She-ba!«
Ich hatte ihn erwartet, und trotzdem zuckte ich leicht zusammen. Der Ausdruck war mit einer derartigen Sicherheit gesprochen worden, dass ich zu der Überzeugung gelangte, dass etwas sehr Ungewöhnliches dahinter stecken musste, das auch mit mir zu tun hatte.
Mir brannten die entsprechenden Fragen auf der Zunge. Ich stellte sie trotzdem nicht, weil ich genau wusste, dass mich die Antworten nicht befriedigen würden.
»John, das gilt dir!«, flüsterte mir Glenda von der linken Seite her zu.
»Ich weiß.«
»Tu was!«
Das hatte ich sowieso vor. Ohne diesen kleinen Totenkopf aus den Augen zu lassen, drückte ich mich in die Höhe. Ich war davon überzeugt, dass er nicht als Einzelstück in der Luft schwebte, sondern nach wie vor auf dem Finger steckte. Da konnte man mir erzählen, was man wollte.
Ich stand.
Es hätte mich nur einen Schritt gekostet, einen blitzschnell geführten Schritt, und ich wäre am Ziel gewesen. Aber ich blieb zunächst stehen und drückte meinen Rücken durch, weil ich vom Sitzen etwas steif und unbeweglich geworden war.
Meine Augen suchten die Dunkelheit ab. Ich stierte nach vom, weil ich diese Mauer durchdringen wollte, aber es war nur der Ring zu sehen und nicht die Person, zu der er gehörte.
Trotzdem musste sie da sein.
Ich ging nach vom, streckte meinen Arm aus – und griff zu!
Ja, es war okay, es lief glatt. Ich fasste den Ring mit dem Totenkopf an, aber ich spürte nicht, ob er an einem Finger steckte. Die Umrisse des Schmuckstücks lagen in meiner Hand, und der Druck war genau zu spüren. Ich wollte die Hand zur Faust ballen, um den Ring an mich heranzuziehen.
»Jetzt ist es so weit...«
Zum ersten Mal hatte die Stimme etwas anderes gesagt. Ich konnte nicht behaupten, dass ich darüber glücklich gewesen wäre, denn es erwischte mich noch in der gleichen Sekunde knallhart.
Etwas raste von verschiedenen Seiten durch meinen Körper, als wäre ich von mehreren Stromstößen zugleich getroffen worden. Von oben, von unten.
Alles, was sich unter der Haut befand, fing an zu zittern. Diese Stöße besaßen eine wahnsinnige Kraft, denen ich nichts entgegensetzen konnte, und ich fiel wie gefällt zu Boden...
***
Glenda Perkins hatte das Gleiche gesehen wie John Sinclair. Es war ihr unheimlich gewesen, aber sie hatte es hingenommen, denn auch sie gehörte zu den Menschen, die genau wussten, dass es auf dieser Welt Dinge gab, die außerhalb des sichtbaren Bereichs lagen.
Sie hatte das Erscheinen des Totenkopfs gesehen, und sie war auch bereit gewesen, in die Höhe zu springen, aber das hatte sie nicht geschafft, denn auf ihrem Körper lagerte plötzlich ein mächtiges Gewicht, das sie in den Sessel drückte.
Etwas, das sich Glenda nicht erklären konnte, hatte sie in ihren Bann gezogen. Ihr Mund hatte sich vor Staunen wie von selbst geöffnet, und es war ihr auch nicht mehr möglich, etwas zu sagen und John anzutreiben.
Er stand auf.
Er griff nach dem Totenkopf!
Glenda
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