Salomos letzte Geliebte
endlich zu sehen, und sie hatte sich nicht geirrt, denn jetzt zeigte sie sich.
In die Dunkelheit geriet Bewegung. Glenda sah, wie ein Schatten von einer Seite zur anderen schwang. Er besaß noch keine Gestalt und war einfach nur ein Huschen in der Dunkelheit des Zimmers, das sich allerdings verstärkte und zugleich verdichtete, denn Glenda sah, wie sich eine Frau durch den Raum bewegte und dorthin ging, wo der Flur anfing, in dem weiches Licht brannte, dessen Ausläufer jetzt auch die Besucherin erreichten.
Glenda war in der Lage, die Frau recht deutlich zu sehen. Sie hatte sich nicht verändert, denn sie trug noch immer das gleiche Gewand oder Kleid, mit dem sie im Biergarten aufgetreten war. Sogar die Goldfäden schimmerten durch.
Neben dem Schalter für das Licht blieb sie stehen. Zwei Sekunden später war es hell im Wohnzimmer. Genau diese Helligkeit hatte den Zauber verfliegen lassen. Einfach wie weggewischt. Hätte der zusammengebrochene John Sinclair nicht auf dem Boden gelegen, so hätte Glenda die Vergangenheit für einen Traum halten können, doch die regungslose Gestalt des Geisterjägers bewies ihr das Gegenteil.
Die Person im langen Kleid drehte sich sehr langsam um, wie jemand, der seinen Auftritt genießt. Auf ihrem Gesicht war jetzt ein Lächeln zu sehen, von dem sich Glenda nicht täuschen ließ, denn dieses Lächeln war nicht ehrlich, sondern triumphierend. Zudem auch kalt. Wie bei einer Siegerin, die alles auf eine Karte gesetzt hatte.
Bei Glenda hatte sich endlich die Sperre gelöst. Sie schaffte es, sich von der Sesselkante zu erheben.
»Was willst du?«
Die Exotin mit der kaffeebraunen Haut und den dunklen Augen, die so gar nicht in diese Welt zu passen schien, deutete nach vom. »Ihn habe ich schon.«
»Er ist doch nicht tot?«
»Nein, das ist er nicht. Wir brauchen ihn. Er ist sehr wichtig für uns.«
»Wer braucht ihn?«
Glenda hatte nicht mit einer konkreten Antwort gerechnet. Umso überraschter war sie, als sie diese trotzdem bekam.
»Amira braucht ihn...«
Glenda zeigte nicht den Hauch einer Reaktion. Zu sehr hatte sie dieser Name überrascht. Sie kannte keine Amira und konnte sich unter ihr auch nichts vorstellen. Ihr war dieser Name einfach nur unbekannt.
Aber sie grübelte darüber nach. Er enthielt eine gewisse Exotik, denn sie glaubte nicht daran, dass jemand in der heutigen Zeit sein Kind Amira nannte. Die Besucherin ließ Glenda auch genügend Zeit, sich mit dem Namen auseinander zu setzen, und so wanderten ihre Gedanken weiter. Ihr kamen einige ungewöhnliche Namen von Personen in den Sinn, die sie kannte. So dachte sie an Kara, die Schöne aus dem Totenreich, oder auch an Serena, die Gefährtin des Eisernen Engels. Beide lebten in Atlantis, und das genau brachte sie auf einen Gedanken, den sie nicht für sich behalten konnte.
»Kommst du aus Atlantis?«
»Nein, nein, daher komme ich nicht. Ich kenne diesen Ort überhaupt nicht.«
»Es gibt ihn auch nicht mehr. Er ist ein Stück Vergangenheit. Der Kontinent ist versunken. Das Meer hat ihn in die Tiefe gerissen und viele seiner Menschen.«
»Das geht mich nichts an. Ich will etwas anderes.«
»Warum ist John so wichtig für dich?«
»Du irrst dich. Er ist nicht wichtig für mich, sondern für Amira. Ich bin nur ihre Botin. Ich habe versprochen, ihr zu helfen, und ich werde dieses Versprechen einhalten, denn ich werde ihn mitnehmen und noch etwas anderes, was sich in seinem Besitz befindet, und zwar zu Unrecht.«
Wieder war Glenda vor eine Tatsache gestellt worden, die sie nicht in den Griff bekam. Natürlich dachte sie darüber nach, was sich möglicherweise zu Unrecht in John’s Besitz befinden könnte, aber da kam sie zu keinem Ergebnis. Um das Kreuz konnte es sich nicht handeln. John war der Sohn des Lichts. Er war möglicherweise der letzte Erbe dieses Unikats.
An eine Pistole brauchte sie auch nicht zu denken, und etwas anderes fiel ihr im Moment nicht ein, denn der Dunkle Gral befand sich nicht mehr in seinem Besitz, sondern stand in Avalon tief unter der Erde versteckt, wo die Gestalten der geheimnisvollen Ritter der Tafelrunde um den runden Tisch herumsaßen.
Glenda wollte noch weitere Fragen zu diesem Thema stellen, doch die Bewegungen der Exotin lenkten sie ab. Die Frau mit dem krausen Haar ging durch das Zimmer, als wäre sie völlig allein. Sie kümmerte sich weder um John Sinclair noch um Glenda, sondern wandelte über den Boden hinweg wie in tiefe Gedanken versunken.
»Was suchst
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