Salomos letzte Geliebte
sein, ohne dass es der Königin von Saba aufgefallen war. Für mich war das kaum zu fassen. Ich wartete auf den Augenblick, dass ein Regisseur eingreifen und »Action« rufen würde, aber da unterlag ich einem Irrtum, denn das hier war kein Film, sondern die Wirklichkeit.
Die Menschen standen nicht. Sie knieten auf den dicken Teppichen und hatten einen Kreis gebildet, denn ihre Körper waren einem einzigen Mittelpunkt zugewandt, der etwas wie ein Thron war.
Er bildete den Mittelpunkt zusammen mit der Frau.
Das musste Amira sein!
Sie kniete ebenfalls auf einer Fülle von Teppichen. Was sich darunter verbarg, entzog sich meinen Blicken, aber ich konnte mir einen normalen Aufbau vorstellen. Aus Holz oder aus Stein, und er war eben zu diesem Thron gemacht worden. An den Seiten hingen die Teppiche herab, so dass sie auch von hier aus mir den Blick auf den Thron nahmen und ich mich ausschließlich auf die Person konzentrieren konnte, die ihn besetzt hielt.
Amira trug ein Gewand, das wie das Fell eines Tigers schimmerte und auch so gefleckt war. Sie hatte es um ihren Körper gedreht oder übergestreift, aber dabei einen weiten Ausschnitt gelassen, aus dem zwei helle Brüste nach außen quollen. Um ihre Schultern und auch um die Oberarme herum lag ein blaues Tuch, das mich an eine Stola erinnerte. Ihr Haar war schwarz wie das Gefieder eines Raben. Ihre Gesichtshaut war dagegen recht blass. Volle Lippen, ein weiches Kinn, dunkle Augen, das gut geschnittene Gesicht, dazu die Haare, das alles erinnerte mich an die junge Liz Taylor, die als Cleopatra einen ihrer größten Triumphe gefeiert hatte und unvergessen blieb.
Das lange Haar verdeckte die Ohren. Ein goldener Reif hielt es an der Stirn fest, um es zu bändigen. Diese Frau war eine Schönheit, und die Männer in der Runde hoben in einem bestimmten Rhythmus ihre Oberkörper an und senkten sie auch wieder, wobei sie immer nur die beiden bestimmten Wörter riefen.
»She-ba! She-ba...«
Sie kommt. Aber sie brauchte nicht mehr zu kommen, denn Amira war schon da.
Zippa stand dicht neben mir, und sie sprach mich jetzt mit halblauter Stimme an. »Ist sie nicht schön, John Sinclair? Ist sie nicht eine wunderschöne Frau?«
»Das kann ich nicht bestreiten.«
»Ist sie nicht würdig, an Stelle der Königin auf dem Thron von Saba zu sitzen?«
»Das kann ich nicht beurteilen.«
»Oh doch, das ist sie. Und heute wird es so weit sein. Wenn es dunkel ist, wird es zur Abwechslung kommen. Wenn die Königin schläft und sich schon ihren wundersamen Träumen hingibt, wird Amira als der Tod zu ihr gehen und die Macht an sich reißen, denn das Schwert befindet sich in ihrem Besitz. Und alle Welt wird Amira für die Königin von Saba halten und damit für eine Frau, deren letzte Geheimnisse selbst in deiner Zeit noch nicht aufgeklärt wurden.«
Da konnte ich ihr schlecht widersprechen, denn es gab noch immer Wissenschaftler, die nach den endgültigen Beweisen für die Existenz der Königin suchten.
Dass Zippa und ich das Zelt betreten hatten, war Amira nicht aufgefallen. Sie hatte sich womöglich durch den Gesang einlullen lassen und war nur mit sich selbst beschäftigt. Jede ihrer Bewegungen kam mir wie einstudiert vor. Wie sie den Kopf drehte, wie sie mit den Händen über den weichen Flor des Teppichs strich und dabei über etwas hinwegglitt, das ich nicht genau erkennen konnte, weil es durch seine Schwere einfach zu tief eingesunken war.
Schließlich drehte sie sich leicht nach links und griff einfach nur neben sich. Die Seite war mir abgewandt, so konnte ich nicht erkennen, was sie da nahm.
Aber ich sah es wenig später und musste zugeben, dass mich Amira damit überraschte, denn sie hielt plötzlich einen bleichen Totenschädel zwischen ihren Händen.
»Das Zeichen!«, wisperte die Zauberin neben mir. »Es ist das erste Zeichen.«
»Wofür?«
Zippa schüttelte unwillig den Kopf, weil ihr meine Frage überhaupt nicht passte. »Es ist das Zeichen für den Tod. Für das, was in dieser Nacht noch folgen wird. Für den absoluten Höhepunkt. So und nicht anders musst du das sehen.«
Ich wollte dazu nicht viel sagen, denn die Bewegungen der Amira waren für mich wichtiger. Beinahe andächtig hatte sie den Totenschädel zwischen ihre Hände geklemmt. Sie schaute auf ihn herab, und als ich mich etwas reckte, sah ich, dass bei dem Schädel die Decke fehlte. So hätte man ihn auch als makabres Gefäß benutzen können.
Sie lächelte und zeigte damit die erste Regung in ihrem
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