Salon der Lüste - 3
ihm entgegenbrachte, übertrieben war.
Nein, Angst war es nicht, was sie momentan fühlte. Vielmehr kamen ihre gegenwärtigen Empfindungen dem verdrießlich nahe, was sich stets in ihr regte, wenn Saint zu Besuch kam: einer erregenden Hoffnung, er würde diesmal endlich begreifen, dass sie kein Kind mehr war, sondern eine Frau.
»Wie wütend Sie sind!«, sagte er mit samtiger Stimme, und sie hätte schwören können, seine Finger auf ihrer Wange zu spüren, obwohl er sich gar nicht rührte.
»Eine junge Frau in der Blüte ihres Lebens sollte nicht von solcher Wut erfüllt sein.«
Seine Worte trafen sie mitten ins Herz, berührten sie mit ihrer Sanftheit und entfachten zugleich neuen Zorn. Der Ernst der Lage war ihm schlicht egal.
»Ich bin wütend, weil zwei Freundinnen brutal ermordet wurden und es niemanden zu kümmern scheint!«, konterte sie aufgebracht. Diese Worte hatte sie inzwischen so oft geäußert oder gedacht, dass sie mit jedem Mal, das sie sie von sich gab, schmerzlicher wurden.
Aus dem Nichts erschien ein Funkeln wie von schwarzen Edelsteinen in seinen Augen. »Mich schon.«
Mehr als der zwei Worte bedurfte es nicht, um ihre Wut zu lindern und ihr beschämende heiße Tränen zu entlocken.
»Nicht weinen, Kleines! «, raunte er ihr mit einem spitzbübischen Grinsen zu. »Ich zähle zu den Männern, die Tränen zu ihrem Vorteil nutzen.«
Genauso schnell, wie sie gekommen waren, trockneten Ivys Tränen wieder. Ob er es sagte, um ihre Würde zu retten, oder ihr andeuten wollte, dass er tatsächlich ein Lüstling war, tat nichts zur Sache. »Danke.«
Er nickte, drehte sich wieder um und ging weiter die Treppe hinunter. »Danken Sie mir nicht, ehe ich den Mörder gefunden habe.«
Sie verriet ihm nicht, dass ihr Dank anderem gegolten hatte, raffte ihre Röcke und eilte ihm nach. »Wie lautet Ihr Plan?«
Wieder sah er nicht zu ihr, als er antwortete: »Noch hatte ich keine Gelegenheit, einen Plan zu entwerfen, aber ich dachte, ich beginne damit, die Polizeiberichte zu lesen.«
»Die wird man Ihnen nicht ohne weiteres aushändigen.« Ein Gast des Hauses war Officer beim Scotland Yard, und nicht einmal er hatte ihnen helfen können. Zwar unterstellte Ivy, dass er es sehr wohl könnte, wenn er wirklich wollte, doch das behielt sie für sich.
»Nein, darauf würde ich auch nicht hoffen.« Unten in der Diele blieb er neben der Venusstatue in der Mitte stehen und wandte sich zu Ivy um. »Ich habe vor, heute Abend vorbeizuschauen und mir eigenständig Zutritt zu den Dokumenten zu verschaffen.«
»Sie wollen bei der Polizei einbrechen?« Das war sein Plan?
»Ja.«
»Ich möchte mit Ihnen kommen.«
»Ausgeschlossen!«
Verärgert stemmte sie ihre Hände in die Hüften, denn nur so konnte sie sich davon abhalten, seine Schultern zu packen und ihn zu schütteln. »Warum? Weil ich eine Frau und deshalb außerstande bin, Ihnen zu helfen?«
»Helfen?« Er sah sie an, als wäre sie komplett von Sinnen. »Sie wären eine Ablenkung erster Güte, aber das ist nicht der Grund.«
Eine Ablenkung? Sie ließ die Hände sinken. »Und was dann?«
»Können Sie im Dunkeln sehen, Miss Dearing?«
»Nicht sehr gut, nein, aber … «
Er verschränkte seine Arme vor der Brust. Die weißen Hemdsärmel leuchteten in der Dunkelheit. »Können Sie sich schneller bewegen, als ein Mensch zwinkern kann?«
»Nun reden Sie wahrhaft Unsinn! Selbstverständlich kann ich das nicht.«
»Ich kann es.« Da lag kein Hauch von Kühnheit oder Triumph in seiner Stimme. Er stellte bloß eine simple Tatsache fest. »Darüber hinaus kann ich für meine Sicherheit garantieren, sollte ich ertappt werden. Für Ihre nicht. Sosehr ich Ihr Angebot auch zu schätzen weiß - ich werde es nicht annehmen.«
Wäre ihr irgendetwas eingefallen, das sie erwidern konnte, hätte sie es angeführt, doch leider fiel ihr nichts ein. Er hatte recht. Wie ärgerlich! Errötend und ohnmächtig starrte sie ihn an. »Ich verstehe.«
Saint hob eine Hand, was sie vor allem an dem Goldring bemerkte, der an seinem Finger blitzte, und zögerte. Dann fühlte sie seine warme Hand auf ihrer Schulter.
Obgleich die Berührung alles andere als anzüglich war, wurde Ivy sehr heiß. Ihr Puls raste, wohingegen ihr Gemüt sich von dem Trost beruhigen ließ, den er ihr schenkte, ohne es zu ahnen.
»Sie wissen mehr über diese Tragödie als ich«, begann er leise. »Wenn ich von Scotland Yard zurück bin, werde ich gewiss einige Fragen haben, die Sie mir beantworten können.
Weitere Kostenlose Bücher