Salon der Lüste - 3
Minderheit unter jenen, deren Leben unmittelbar mit dem Parlamentsrhythmus verknüpft war.
Also würde er alle Hilfe brauchen, die er bekommen konnte - einschließlich der, die ihm die liebreizende Miss Dearing anbot. Die Polizeiberichte lieferten ihm vielleicht keine Hinweise auf den Täter, aber zumindest erfuhr er die harten Fakten, so dass er Madeline, ihre Tochter oder sonst jemanden im Maison Rouge nicht mit schrecklichen Fragen belästigen müsste, auf die sie eventuell gar keine Antwort wussten. Die Polizei sollte fürs Erste genügen.
Das >neue< Scotland Yard war ein eindrucksvoller gotischer Bau aus weißen und roten Backsteinen, der an dem relativ neuen Victoria Embankment nördlich des Themseufers stand. Das Gebäude war sehr hoch und einschüchternd in seiner Pracht.
Runde Erkertürme staken wie Pistolenläufe nach oben, einzig überragt von dem hohen Turm in der Mitte des dunklen Ziegeldachs.
Von seiner Warte auf dem Dach aus konnte Saint die Silhouette der Turmuhr vom Parlament sehen. Der Mond warf einen unheimlichen Lichtkranz um den strengen Turm, der wie ein stummer Vater über die Stadt zu wachen schien. Ein Bild, das Saint offenbar mit den Londonern teilte, denn sie hatten dem Turm den Spitznamen »Big Ben« verliehen - genaugenommen der Glocke darin.
Über die Gauben kletterte Saint rasch seitlich am Dach hinunter zu der Reihe größerer Fenster gleich unterhalb des Dachüberstands. Bäuchlings lehnte er sich über einen der oberen Fenstersimse und legte seine Hand auf die Glasscheibe. Dann zog er langsam.
Das Schloss drinnen knarrte, dehnte sich und gab schließlich nach. Die >Scotties<, wie er diese Behörde gern nannte, würden nie darauf kommen, was mit dem Schloss passiert war.
Sowie das Fenster offen stand, schwang Saint sich über den kleinen Fenstergiebel nach unten, glitt blitzschnell hinein und schloss das Fenster hinter sich. London war heute besser beleuchtet als früher, und er durfte nicht riskieren, dass Passanten das offene Fenster bemerkten.
Binnen nicht einmal einer Sekunde hatten seine Augen sich auf die Dunkelheit drinnen eingestellt. Er befand sich in einer Art Büro. Schwaches Licht fiel von draußen auf den Boden, beinahe als wollte es ihm die Richtung weisen.
Schnell und lautlos bewegte Samt sich zur Tür. Zum ersten Mal war er im »neuen« Scotland Yard, doch er hatte sich unter den Mädchen im Maison Rouge umgehört, und Mary, deren Schwester bis vor kurzem als Putzkraft hier gearbeitet hatte, wusste genau, in welchem Raum die Berichte zu finden waren.
Er lauschte an der Tür, ehe er sie öffnete, ob auch niemand auf dem Korridor war.
Draußen machte er sich eilig auf den Weg zu seinem Ziel.
Beinahe dort, vernahm er Stimmen, begleitet von schweren Schritten.
Unverrichteter Dinge umkehren wollte er nicht, aber leider gab es hier keine Türen, durch die er schlüpfen, oder Fenster, aus denen er hinausklettern konnte, ohne dass ihn die Männer hörten, die näher kamen.
Also begab er sich nach oben in die dunkelste Ecke am Ende des Korridors. Die Füße seitlich an den Wänden abgestützt und sich mit den Fingern an den Deckenstuck klammernd, hockte er da. Unter dem Druck gab der Putz ein klein wenig nach. Eines Tages würde jemand etwas bemerken, das wie Fingerabdrücke aussah, und sich fragen, wie in aller Welt sie dort hingelangt waren.
Zwei Männer mit einer Laterne erschienen hinten auf dem Korridor. Sie trugen Uniformen und lachten jovial. Einer hielt eine Taschenflasche in der Hand, der andere zog zwei Zigarren aus seiner Brusttasche.
»Magst du eine, Johnny?«, fragte er seinen Begleiter.
Der andere Mann schnappte sich die dargebotene Zigarre. »Ah, sehr freundlich, mein guter Aubrey, sehr freundlich!«
Londons Gesetzeshüter, die sich während einer langweiligen Nachtschicht davonschlichen, um zu trinken und zu rauchen. Wie überaus beruhigend für die Bürger der Stadt, dass sie von betrunkenen Polizisten geschützt wurden!
Sie ließen sich reichlich Zeit, unter Saint hindurchzugehen. Derweil sorgte er sich weniger, dass seine Kräfte nachlassen könnten, als dass Mauern und Decke womöglich nachgaben. Sie waren nicht gebaut, um solcher Druckeinwirkung standzuhalten, wie er sie ausüben musste, und er fürchtete, jeden Moment durch den Putz zu stoßen.
Feiner Staub rieselte herunter und direkt an der Schulter eines der beiden Männer vorbei, als sie endlich. durch eine Tür unter Saint gingen. Nachdem sie verschwunden waren, wartete er noch
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