Salve Papa
verbracht. Wir versammelten uns beinahe täglich mal bei den einen, mal bei den anderen Nachbarn, um weitere Kaninchenprobleme zu besprechen. Jeder brachte etwas zu essen und zu trinken mit. Etliche Hausbewohner, die früher kaum ein Wort miteinander gewechselt hatten, stießen plötzlich auf gemeinsame Interessen.
»Kaninchen verbinden Menschen«, witzelte der Grieche aus dem vierten Stock. Er nahm an den Konferenzen nicht mehr teil.
Eine Woche später wurde das Gehege geliefert. Ein Nachbar, der als Arbeitstherapeut minderjährigen Sexualstraftätern aus Brandenburg das Tischlern beibrachte, hatte es an seiner Arbeitsstelle anfertigen lassen. Die Sexualstraftäter hatten tolle Arbeit geleistet: Alles war nach den neuesten Erkenntnissen der Kaninchenstallarchitektur gebaut worden. Andere Nachbarn hatten bereits Futter und Stroh gekauft. Nur die Tiere fehlten noch.
Am nächsten Tag ging ich im Einkaufscenter am Gesundbrunnen in einen Zooladen, um die Kaninchen zu kaufen: vier Mädchen mit kleinen Ohren, lautete der Beschluss unseres Bundestages. Ich hatte zwar nicht ganz verstanden, was sie gegen Jungs mit großen Ohren hatten, aber nachzufragen hatte ich auch nicht gewagt. Ich wollte nicht noch eine Feminismusdebatte im Haus anstoßen. Wahrscheinlich hatte diese Art von Geschlechterdiskriminierung etwas damit zu tun, dass in unserem Haus mehrere alleinerziehende Mütter wohnten, die sich bei männlichen Kaninchen an ihre Verflossenen erinnern könnten, dachte ich.
Wegen Ostern befanden sich die Tierchen nicht mehr im Zoogeschäft, sondern in einem Gehege in der Mitte des Einkaufzentrums auf einer großen Kaninchenwiese und animierten das Publikum zu wildem Konsumieren.
»Vier Mädchen mit kleinen Ohren, bitte«, sagte ich.
Fünf Mitarbeiter halfen mir, die richtigen einzufangen. Sie rannten auf der Kunstwiese den kleinen Tierchen hinterher, stolperten und fielen übereinander, während die Kaninchen wie wild hin und her sprangen und das Publikum im Kaufhaus sich prächtig amüsierte. Dieses Durcheinander hatte zur Folge, dass am Ende in der Schachtel mit den vier Kaninchen zwei eigentlich Meerschweinchen waren. Ich schämte mich jedoch, vor allen Nachbarn öffentlich zuzugeben, dass man mich so leicht über den Tisch gezogen hatte. Deswegen kündigte ich sie als gewollt an. Die Meerschweinchen hatten lustige Punkfrisuren und bekamen von uns den Namen »Sex Pistols«. Die Kaninchen wurden dann fast zwangsläufig »The Beatles« genannt.
Sie wurden im Hof wie alte Freunde empfangen. Jeder im Haus wusste, wann sie zu füttern waren, wann sie Wasser brauchten und wann Freigang angesagt war. Meine Tochter fertigte eine Tabelle an und hängte sie neben dem Gehege auf. Dort sollten die täglichen hundert Gramm Futter vom diensthabenden Pfleger vermerkt werden.
Drei Tage später hatte ich einen Job – ich musste als DJ in einem Klub die ganze Nacht lang Musik auflegen. Erst um sechs Uhr früh kam ich nach Hause. Müde stand ich auf dem Balkon und sah den Griechen, der gerade zur Arbeit musste. Er ging über den Hof, schaute nach links und rechts, lief zum Kaninchenstall, nahm das Dach ab, streichelte die Tiere und steckte sie mit dem Ausruf »Arme Schweine!« in den großen Futtersack, der in der Ecke stand. Unsere ganze Hausordnung war für die Katz.
Döndü
In archaischen Macho-Gesellschaften braucht jeder Vater einen Sohn, sonst lachen ihn die Nachbarn aus. Er braucht den Sohn außerdem, um ihm seinen Säbel und sein Pferd zu überlassen, und strengt sich von daher unglaublich an, einen echten Stammhalter zu zeugen. Oft kommen jedoch nur Mädchen dabei raus. Dieses Phänomen nennt sich »kinderreiche Familie«. In Russland zum Beispiel sagt man, wenn jemand mehr als drei Töchter hat: »Der Mann hat nachgeschlagen«. Soll heißen, er hat das Schicksal herausgefordert, er lässt nicht locker. Hierbei kommt die Natur des Macho-Mannes zum Vorschein. Er zockt nämlich gerne. Ähnlich wie beim Roulette, wenn man zigmal hintereinander auf die gleiche Farbe setzt und den Einsatz dabei stets verdoppelt, denken manche, mit jeder neuen Tochter würden die Chancen auf einen Sohn steigen. Der Spieler glaubt, der Zockergott würde es nicht zulassen, dass die Farbe Rot zwanzigmal hintereinander kommt, doch er irrt sich gewaltig. Dem Zockergott ist nämlich jede Farbe gleich und jedes Kind willkommen, er hält sowieso die Bank und hat Zeit bis zum Abwinken und mehr. Der Mann hat nur ein paar Jahrzehnte für seine
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