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Salve Papa

Salve Papa

Titel: Salve Papa Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wladimir Kaminer
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Selbstverwirklichung.
    Es gibt in Russland viele Nachschlagewerke, Sachbücher und Ratgeber zum Problem »Wie kriege ich einen Sohn«. Die populärsten Methoden werden jedoch durch Mundpropaganda verbreitet. So sagt man, dass sich bei jedem Menschen in regelmäßigen Abständen das Blut erneuert. Bei Frauen alle vier, bei Männern alle drei Jahre. Wer zur Zeit der Zeugung frischeres Blut hat, dessen Geschlecht setzt sich durch. Eine andere Theorie besagt, dass sich die schwächeren Geschlechter reproduzieren. Daher muss, wenn man einen Jungen haben will, vor allem die Frau gut gefüttert und unterhalten, der Mann dagegen gefoltert und ausgehungert werden. Außerdem haben Männer einen sehr speziellen Aberglauben: Danach sollen die unterschiedlichen Geschlechter jeweils in den Hoden stecken. Im linken die Mädchen, im rechten die Jungs. Und wer sich während der Zeugung das rechte Ei drückt, der kann das Geschlecht des Kindes steuern.
    Trotz der vielen Ratgeber und einfallsreichen Tricks kommen nach wie vor sehr viele Mädchen in Russland auf die Welt. Da können die Männer noch so lange anfassen und pressen, abrasieren oder wachsen lassen. Selbst die Wissenschaft ist da machtlos.
    In der Türkei, so erzählte mir neulich eine türkischstämmige Schriftstellerkollegin, haben die Männer das gleiche Problem. Wenn sie dort mehr als eine Tochter bekommen, geben sie dem Mädchen den magischen Namen Döndü. Der Name bedeutet so viel wie »Wende dich« oder »Sei gedreht«. Dieser Name gilt als Garantie dafür, dass das nächste Kind ein Junge wird. Wenn dann trotzdem noch ein Mädchen kommt, wird auch das Döndü genannt, so lange eben, bis sich das Blatt wendet.
    Die Verwendung dieser Methode hatte zur Folge, dass sehr viele Frauen in der Türkei Döndü heißen. Die Döndüs gelten als kompliziert. Sie haben in der Regel Schwierigkeiten, einen Lebenspartner zu finden, sind dafür aber sehr fleißig und karriereorientiert, als wollten sie sich selbst und der Welt beweisen, dass sie nicht umsonst geboren wurden. Oft erringen sie große Autorität und tragen große Verantwortung in ihrem Umfeld. Angela Merkel wäre vom Typus her eine typische Döndü, meinte meine türkische Kollegin. Sie selbst heißt Dilek, das heißt so viel wie »Zunge« oder »Sprache«.
    In Deutschland sind die archaischen Männer glücklicherweise entspannter. Sie freuen sich über jedes Kind, Hauptsache das Kindergeld kommt pünktlich. Und trotzdem kann man auch hier viele Döndüs finden. Ich glaube, irgendwann wird die Welt nur noch von Döndüs regiert. Sie schnappen den Männern alle Posten weg, sperren ihre Pferde in Ställe und schmieden die Säbel zu Kochlöffeln um. Globalisierung wird kein Thema mehr sein, alle werden nur noch von der Döndürisierung reden.
     

Menschenmaße
    Die Berliner Hitze trieb alle Menschen in den Park und zog sie aus. Auch wir gingen dorthin, um den anderen bei ihren Freizeitspäßen zuzuschauen. Kleine Jungs liefen auf dem Rasen hintereinander her und schrien. Als wir näher kamen, stellten wir fest: Die Jungs spielten in Wirklichkeit Fußball, nur mit veränderten Regeln. Wenn der Ball einen der Spieler ins Gesicht oder unter die Gürtellinie traf, galt dies als Tor. Zwei Studenten spielten daneben Badminton. Sie schwangen ihre Schläger so hart durch die Luft, als ob sie einander mit dem Federball erschlagen wollten. Der Federball verlor mit jedem Schlag mächtig Federn und erinnerte auch sonst an ein Küken in Schwierigkeiten. Noch ein paar solche Flüge, dachten wir, und der Federball fängt an zu gackern.
    In der Mitte der Wiese bewarfen sich zwei ältere Männer mit einer neuartigen Variante einer Frisbeescheibe. Das heißt, sie taten so, als würden sie diese Flugscheibe einander zuwerfen, in Wirklichkeit aber wollte jeder von beiden eindeutig als Einziger das Spielfeld verlassen, am besten mit dem abgeschlagenen Kopf des Gegners in einer Tüte. Dieses neue fliegende Objekt hatte eine bessere Aerodynamik und war deutlich größer als ein herkömmliches Frisbee. Es flog schneller, leiser und weiter. Eine falsche Bewegung, und der Kopf wäre weg vom Fenster.
    Im Schatten des Wasserfalls saßen einige ältere Parkbesucher auf einer Bank und spielten Schach mit einer Schachuhr. Hinter der Bank standen ihre Fans und beobachteten schweigend ihre Spielzüge. Doch auch bei dieser intellektuellen Freizeitbeschäftigung brannte die Luft. Die Spieler hauten jedes Mal mit einer derartigen Gewalt auf die Uhr, dass

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