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Salve Papa

Salve Papa

Titel: Salve Papa Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wladimir Kaminer
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grüne Pantoffeln mit ins Grab zu geben. Mein Großvater ist danach meiner Oma noch mehrmals im Traum erschienen – mit grünen Pantoffeln an den Füßen, für die er sich herzlich bei ihr bedankte.
    Mein Moskauer Onkel, ein Mann, der sich trotz exzessiven Trinkens und Rauchens mit fünfundsiebzig Jahren bester Gesundheit erfreute, ein ehemaliger Matrose, Schütze auf einem Torpedoboot, der drei Ehefrauen zu Grabe getragen und noch mehr durch seinen Lebenswandel verscheucht hatte, philosophierte gern über den Sinn des Lebens, besonders am Nachmittag.
    »Du kannst praktisch alles machen«, riet mir mein Onkel, »trink nur niemals Gin. Gin bringt Unglück.«
    Diese seine letzten Worte sind mir bis heute in Erinnerung geblieben. Auf jeden Fall habe ich seitdem großes Mitleid mit Leuten, die sich einen Gin Tonic nach dem anderen bestellen – ich mache da nicht mit.
    Johann Wolfgang von Goethe hatte bekanntlich ebenfalls ein sehr langes Leben. Wie schlau er geworden ist, lässt sich aus heutiger Sicht nur noch schwer erahnen. Ich nehme an, er war sehr weise. Seine angeblich letzte pathetische Aussage »Mehr Licht!«, die eher nach einer beleidigten Rockband klingt als nach einem Philosophen, ist nicht verbürgt. In der Überlieferung des Weimarer Prinzenerziehers Frédéric Soret soll Goethe als Letztes »Frauenzimmerchen, Frauenzimmerchen, gibt mir dein Pfötchen!« gesagt und damit seine Weisheit endgültig zum Ausdruck gebracht haben.
     

Kaninchen
    Was macht aus einem normalen Menschen einen Schriftsteller? Die Wege der Muse sind nicht nachvollziehbar. Bei mir war zum Beispiel das Arbeitsamt der Auslöser. Ich hatte damals einen furchtbar langweiligen Job: Bei einer als »internationale Theaterwerkstatt« getarnten Arbeitsbeschaffungsmaßnahme musste ich Telefon- und Bürodienst machen. Damals fing der Staat gerade an, seinen Leistungsbeziehern gegenüber Misstrauen zu entwickeln. Einmal am Tag bekamen wir einen Kontrollanruf vom Arbeitsamt. Wenn niemand ans Telefon gegangen wäre, hätte das Amt unsere Werkstatt wahrscheinlich sofort abgewickelt. Damit das nicht passierte, saßen immer mindestens drei Mitarbeiter im Büro. Jeder hatte einen Computer vor sich stehen. Meine Kollegen schossen damit tagein, tagaus virtuelle Moorhühner ab, mir taten die niedlichen Vögel leid.
    Am Ende des Arbeitstages mussten wir einen kurzen Bericht für das Arbeitsamt verfassen, eine Bestandsaufnahme der getanen Arbeit. Weil meine Kollegen sich bei ihrer Moorhühner-Vernichtung immer die Finger taub geschossen hatten, übernahm ich das Abfassen der Berichte. Ich erstellte stets zwei davon: einen offiziellen Bericht für das Arbeitsamt, in dem stand, wie sich unsere Werkstatt bis dahin entwickelt hatte, und einen inoffiziellen, mit genauen Angaben darüber, wie viele Moorhühner welcher Kollege mit welcher Hand geschossen hatte und wie die anderen Kollegen darauf reagiert hatten. Der erste Bericht wurde zu den Akten gelegt, der zweite am Ende des Tages intern vorgelesen.
    Nun ist das Ganze längst Vergangenheit. Die Theaterwerkstatt wurde vor einem Jahrzehnt geschlossen, die Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen sind alle gestrichen, und die Computer-Moorhühner fliegen heute mit einer ganz anderen Geschwindigkeit über die Bildschirme. Sie sehen auch nicht mehr so niedlich aus. Trotzdem verfasse ich weiter meine täglichen Dienstberichte. Ich kann einfach nicht damit aufhören. Aus heutiger Sicht würde ich deswegen behaupten, das Arbeitsamt war der Auslöser für meine literarische Karriere.
    Bei meiner Tochter verursachte dagegen ein Kaninchen eine plötzliche Kreativitätsanwandlung. Einmal, kurz vor Ostern, sah sie im Fernsehen ein Riesenkaninchen aus Spandau, das angeblich siebzig Jahre alt war. Das Tier war dort im Hof eines Mehrfamilienhauses zu einem regelrechten Pitbull herangewachsen, mit einer Ohrenlänge von über fünfunddreißig Zentimetern. Für den Fernsehzuschauer wirkte es völlig verloren und die Kinder hatten wahrscheinlich Angst vor einem solchen Ungeheuer. Das Tier saß die ganze Zeit in seinem Gehege und passte auf die Fahrräder der Hausbewohner auf. Anstatt die Gegend auf radioaktive Strahlung zu untersuchen, freuten sich die Spandauer wie verrückt über dieses Rekordkaninchen, und die Medien machten alle mit. Meine Tochter war von dem Tier ebenfalls fasziniert und fing auf der Stelle an, ihren ersten Roman mit dem Titel Das doofe Kaninchen in meinen Computer zu tippen. Ich dachte, das geht vorüber, und wartete

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