Salve Papa
Schauspieler und Politiker, die für öffentliches Feiern geschult sind. Wie man diese Leute zu jedem Anlass zusammenbringt, ist mir bis heute ein Rätsel. Es existiert anscheinend irgendwo in der Stadt eine geheime Liste, auf der alle Promis mit Namen und Adressen geführt werden. Egal, ob der Bürgermeister eine Party schmeißt oder ein Botschafter, ein Wirtschaftsboss oder die Stiftung Deutsche Schlaganfall-Hilfe zu einem Golfturnier einlädt, es sind fast immer die gleichen Gesichter, die dort auftauchen: lokale Politiker, Journalisten, Nachrichtensprecher und TV-Seriendarsteller, die hier eine Art kleines, schmuddeliges, deutsches Hollywood gebildet haben und fleißig die Schlagzeilen für die Klatschpresse und Frischfleisch für die Talkshows liefern.
Na gut, ich weiß, dass ich mit meiner Schilderung des Berliner Nachtlebens etwas übertreibe. Natürlich ist das Partyvolk in der Stadt nicht ganz so einfältig. Wenn zum Beispiel die russische Botschaft ihren Ball zum Tag der Unabhängigkeit übt, kommen dort mehr Russen zusammen, als dem Botschafter lieb ist. Er will verständlicherweise die einheimischen Deutschen, am besten Politiker, begrüßen. Diese haben jedoch Russenangst, und so kommen fast nur Landsleute zum Feiern in die Botschaft. Dabei ragen die Angehörigen zweier Berufsgruppen besonders heraus: die vom Ballett und die von der Armee. Beide Berufsgruppen stechen vor allem wegen ihrer hervorragenden Körperhaltung ins Auge. Sie halten ihren Rücken steil gerade und gehen mit hochgerecktem Kinn durch den Saal. Die Angehörigen der russischen Armee fallen natürlich zusätzlich durch ihre bunten Paradeuniformen auf, während die Balletttänzer bevorzugt in Zivil erscheinen.
Wenn der Berliner Bürgermeister eine Party schmeißt, dürfen dagegen ein paar trashige Transen nicht fehlen, genauso wenig wie andere sexuelle Minderheiten, die das politische Pferdchen des Bürgermeisters sind. Und wenn ein Filmverleih zu der deutschen Premiere eines amerikanischen Zeichentrickfilms einlädt, kommen statt Kindern ganz viele erwachsene Computerspezialisten zum Kino am Potsdamer Platz.
Wir werden allerdings überallhin eingeladen, ob ins Außenministerium, zum Chirurgenkongress oder zur feierlichen Eröffnung der Grünen Woche. Meine Frau sortiert die Einladungen in zwei Stapel nach »wichtig« und »unwichtig«. Zu »wichtig« gehören solche Einladungen, auf denen unten steht, ein Abendkleid sei die angebrachte Erscheinungsform. Die Männer sind in solchen Fällen zum Frack verpflichtet. In der Garderobe meiner Frau haben sich im Laufe der Jahre etliche schicke Abendkleider angesammelt, die seit Langem getragen werden wollen. Sie wurden von den besten Designern der Welt nicht dafür kreiert, in der dunklen Kammer neben dem Schlafzimmer zu hängen. Die Kleider müssen an die Öffentlichkeit.
Doch seit unserer Hochzeit vor dreizehn Jahren hatte meine Frau kaum einen Anlass, ihre Abendkleider zu tragen. Außer der obligatorischen Geburtstagsfeier, die wir traditionell als Grillparty zelebrieren, der Einschulung der Kinder und einer gelungenen Blinddarm-Entfernung gab es keine besonders wichtigen Tage in unserem nicht besonders glamourösen Leben. Der Alltag meiner Frau, der zwischen unserem Schrebergarten, der Kaufhalle Real im Gesundbrunnenzentrum, dem Einkaufszentrum Schönhauser Allee Arcaden und der Russendisko im Kaffee Burger abläuft, bietet keine Gelegenheit, schicke Abendkleider zu tragen.
Im Schrebergarten reckt man sowieso die ganze Zeit in den Beeten den Hintern der Sonne entgegen, da geht ein Abendkleid schnell kaputt. Noch schneller würde es im Getümmel der Russendisko kaputtgehen, wo meine Frau bereits seit der allerersten Veranstaltung an der Kasse sitzt. Im Burger verwandelt sich außerdem grundsätzlich jedes Kleid schnell in ein Nikotinpflaster, wegen der Besonderheiten der dortigen Luftanlage. In der Kaufhalle Real in einem Abendkleid zwischen den Regalen spazieren zu gehen, wäre zwar theoretisch möglich, macht aber wenig Sinn. Deswegen freut sich meine Frau über manche Einladungen wie verrückt. Besonders haben es ihr die sogenannten Cocktailpartys im KaDeWe angetan.
Dieses Kaufhaus hatte eigentlich schon immer, seit seiner Eröffnung vor hundert Jahren, bei den Russen einen besonderen Status. Ob Kommunisten auf einer Propaganda-Reise, Weißgardisten auf der Flucht, Künstler im Exil, Dichter, Denker, Spione oder Kosakenchöre – sie alle waren schon einmal in der Tauentzienstrasse
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