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Salz auf unserer Haut

Salz auf unserer Haut

Titel: Salz auf unserer Haut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Benoîte Groult
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zu tun gehabt hätte. Meinen Namen hat er nicht ausgesprochen: Es war schon eine Leistung gewesen, daß er Paris verlangt hatte. »Was hat denn der mit Paris zu tun?« hatte sich das Mädchen von der Vermittlung sicher gefragt. »Ich nehme an, du hast deine Meinung nicht geändert?« hat er sich gleich erkundigt. »Es ist keine Meinung, Gauvain, es ist… ich kann einfach nicht anders. Ich wünsche mir so sehr, daß du mich verstehst…«
»Du weißt doch, daß ich überhaupt nichts kapiere.«
Schweigen.
»Du bist also ab morgen auf See?« fing ich wieder an. »Was soll sich daran geändert haben?«
Gauvain hatte recht, über diesen scheußlichen Apparat war keine Kommunikation möglich. Ich fühlte mich unfähig, so etwas wie »ich liebe dich« hineinzusprechen. Nur damit er nicht einhängte, habe ich irgend etwas gesagt.
»Schreibst du mir? Sagst du mir, wohin ich dir schreiben kann?«
»Das wird nicht leicht sein… Ich werde bei Marie-Josées Eltern wohnen, in der Zeit, wo ich mein Diplom vorbereite. Sobald ich in Concarneau bin, schicke ich dir eine Karte.«
»In Ordnung. Mit schönen Grüßen doch hoffentlich.«
Verletztes Schweigen. Leck mich am Arsch ‒ das konnte er nicht sagen in den Apparat. »Also, ich muß jetzt los«, sagte er, und ohne die Antwort abzuwarten, hängte er den schwarzen Hörer an die Holzwand.

IV DIE ZEHN FOLGENDEN JAHRE
    In den zehn folgenden Jahren war mein Leben viel zu ausgefüllt, als daß ich Muße gehabt hätte, an meine erste Liebe zu denken. Später erst kommt das nostalgische Bedauern, wenn die zweite Liebe, mit der man sein Leben aufs Spiel gesetzt hat, allmählich Schlagseite bekommt. Das Nichterlebte umgibt sich dann mit einem gefährlichen Zauber.
    Inzwischen ist meine Jugend unmerklich in das Erwachsenenalter hinübergeglitten. Noch habe ich die Schwelle der Dreißig nicht überschritten, und erst dann wird die lange Reihe der Türen zu passieren sein, die alle Anlaß zu beängstigenden Fragen sind: Ist mein Leben jetzt endgültig festgelegt? Was wird mir noch Wesentliches widerfahren?
    Wenn man das Kap der Sechzig umschifft hat, lächelt man über die Einfalt seiner jungen Jahre. Das sollte man nicht tun. Ein unschätzbares Gut, die Sorglosigkeit, habe ich verloren, als für mich das vierte Jahrzehnt anbrach. Bis dahin hatte ich gelebt, ohne mich um die Tatsache zu scheren, daß ich sterblich war, und genausowenig kümmerte mich die noch unerhörtere Tatsache, daß ich verwundbar sein könnte, daß mein Körper mir sein eigenes Gesetz diktieren könnte. Auch hatte bis dahin alles, was ich erlebte, den Reiz des ersten Mals gehabt, alles, der Kummer eingeschlossen. Während dieses sorglosen Jahrzehnts hatte ich denn auch mein Studium der Altphilologie und der Geschichte mit der Agrégation abgeschlossen, was mir einen Lehrauftrag an der Sorbonne einbrachte; danach hatte ich Jean-Christophe geheiratet, der damals als Technischer Leiter für Gaumont die Wochenschau produzierte, und einem sehr blonden kleinen Jungen mit Sommersprossen das Leben geschenkt: Loïc Erwann Augereau.
    Gauvain hatte 1952, im gleichen Jahr wie ich, geheiratet, und eh sie sich's versahen, waren Marie-Josée und er mit vier Kindern gesegnet. Nach unserer Trennung hatte er sein Lebensschiff sofort wieder auf Kurs gebracht, er gehörte nicht zu denen, »die sich den Luxus einer Depression leisten« ‒ ein Ausdruck, der beinahe alles über ihn sagte. Er hatte gerade »seinen Meister gemacht«, wie seine Mutter es formulierte, und fuhr auf einem Trawler, der vor Südirland fischte. »Er findet's hart«, fügte sie hinzu. Es klang sachlich, aber der sekundenlang getrübte Blick verriet einen Kummer, von dem sie nie sprach: Ihr jüngster Sohn, der vierzehnjährige Robert, war zwei Jahre zuvor von einem Brecher über Bord gefegt worden, und seine Leiche hatte man nie gefunden. Seitdem zeigte sie weniger Verachtung für ihre anderen Söhne, wenn sie das Leben hin und wieder »hart« fanden.
    Der Mißbilligung seiner Sippe trotzend, kam Gauvain jedes Jahr zur Thunfischzeit in die Biskaya zurück, denn diesen Fischfang, der viel mit Jagd zu tun hatte, zog er allen anderen vor. Es war für ihn die schönste Zeit des Jahres. »Fischerei für Touristen!« sagte seine Mutter achselzuckend. Zumal der weiße Thunfisch in den fünfziger Jahren an den französischen Küsten zur Seltenheit wurde.
    »Dein Bruder verdient vor Mauretanien gutes Geld mit Langusten«, sagte sie in hinterlistigem Ton jedesmal, wenn ihr Sohn

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