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Salz auf unserer Haut

Salz auf unserer Haut

Titel: Salz auf unserer Haut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Benoîte Groult
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»Komm, diesmal müssen wir wirklich los«, sagte ich, um den Bann zu brechen. »Mein Bus fährt in zehn Minuten.«
Frédérique wartete auf mich. Marie-Josée erwartete ihren Mann im Fischereihafen, unsere Lebenskreise schlossen sich wieder um uns. Durch ein Versehen aber hatten sie ein Stück Hoffnung eindringen lassen. Wir haben gelacht wie zwei Kinder, die soeben den Erwachsenen einen Streich gespielt haben und sich dazu gratulieren. Dann habe ich ihm nachgeschaut, wie er sich mit seinem wiegenden Gang, der mir schon früher so gefiel, entfernte. Manche Männer bewegen beim Gehen nur die Beine, und der Oberkörper bleibt steif. Gauvain bewegte seine Hüften mit seinen Schenkeln und seine Schultern mit seinen Hüften. Alles trug zur Bewegung bei, wie auf jenen Kinobildern, wo man einen Jaguar in Zeitlupe laufen sieht.
Wir hatten uns nicht verabredet in Dakar für die folgenden Tage. Wiedersehen wollte ich ihn erst, wenn er frei von seinen familiären Bindungen sein würde, irgendwo auf der Welt. Aber nichts ist schwieriger, als einem Hochseefischer acht Tage seines Lebens zu entwenden. Zuerst kommt der Fisch, den es zu jagen, zu fangen, tiefzugefrieren, zu verkaufen gilt. Dann das Schiff. Und dann der Reeder. Was übrigbleibt, gehört der Familie. Diese Einteilung ließ für Unvorhergesehenes wenig Raum.
Mehr als ein Jahr haben wir gebraucht, um unsere Expedition zustande zu bringen, zumal es Gauvain niemals eingefallen wäre, daß man sich ein Flugticket nach New York oder nach Kenia leisten könnte, um einen Menschen zu besuchen, der weder tot noch krank ist. Sein Schuldgefühl kostete ihn schon genug, was das Moralische anging. Das Geld der Familie war heilig. Seine Sehnsüchte waren es nicht. Es hätte Saint-Pierre-et-Miquelon sein können… Das Glück wollte, daß die Reederei Gauvain auf die Seychellen schickte, da sie plante, dort ein paar Thunfischtrawler aus Concarneau zu stationieren. Dieses berufliche Alibi erlaubte es ihm, sich selbst die Realität zu verschleiern, nämlich die Tatsache zu verdrängen, daß er seiner lieben Familie ganze acht Tage vorenthielt, um den Versuch zu machen, die unverständliche Sache ‒ von Liebe wagte er nicht zu sprechen ‒ noch einmal zu erleben, die ihn schon zweimal vollkommen aufgewühlt hatte. Und was noch unvorstellbarer war, eine Frau legte zehntausend Kilometer zurück, ohne einen anderen Grund, als mit ihm zu schlafen. Ja, ihm, Lozerech, widerfuhr dies. Wenn man ihm das jemals prophezeit hätte!… Und seit er auf den Seychellen angekommen war, seit zehn Tagen, schwankte er zwischen Scham und Entzücken, fragte er sich, ob diese ganze Geschichte nicht die Ausschweifung zweier gestörter Geister war und ob nicht der Teufel mit seinen Machenschaften dahintersteckte.

V DIE FERNEN INSELN DER SEYCHELLEN
    Es war einmal auf einem Archipel des Indischen Ozeans, dort tat sich ‒ war es Zufall oder war es zwingendste Notwendigkeit? ‒ ein gar absonderliches Paar zusammen: Er war Seemann, sie war Historikerin, beide waren sie von einem so körperlichen Begehren erfüllt, daß sie es nicht Liebe zu nennen wagten; beide konnten sie an diese Anziehungskraft nicht wirklich glauben, und beide waren jeden Morgen darauf gefaßt, als wieder vernünftige Menschen aufzuwachen; beide fragten sie sich, was mit ihnen geschah, stellten sich Fragen, wie sie sich alle stellen, die irgendwann auf jenes quälende Geheimnis stoßen, dessen Tiefen allein die Dichter erforscht haben ‒ ohne endgültige Antworten ans Tageslicht zu bringen.
    Ich bin unfähig, diese Begegnung in der Ich-form zu schildern. Nur wenn ich hinter einem weniger persönlichen Pronomen Zuflucht suche, kann ich Georges Bericht wiedergeben in dem Versuch, jene amouröse Begierde näher zu bestimmen, die trotz aller irritierenden Unabwendbarkeit möglicherweise nichts anderes ist als die grandioseste Lüge des Körpers. Auf dem kleinen Flugplatz der Seychellen ‒ damals in den sechziger Jahren noch Besitztum der britischen Krone ‒ erwartete also ein Fischer eine Hochschullehrerin; sein Herz war von Zweifeln, von Sorge und Gewissensbissen gepeinigt. Aber es war zu spät: Unzweifelhaft kam sie seinetwegen, die Professorin, die der kleinen zweimotorigen Maschine aus Nairobi entstieg, und er mußte nun dieser Fremden, die dort drüben in Amerika weiß Gott was unterrichtete, die Arme öffnen. Er trug eine helle Leinenhose, sein Gesicht war braun gebrannt, und die übliche marineblaue Mütze hatte er nicht auf, so daß

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