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Salz auf unserer Haut

Salz auf unserer Haut

Titel: Salz auf unserer Haut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Benoîte Groult
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nicht, wenn mich das Leben überrumpelt. Ich bin nicht dazu begabt, den Akrobaten zu spielen.«
Ich wußte, daß er ehrlich war, und die Zärtlichkeit, die ich für diesen verwundbaren und verkappt leidenschaftlichen Mann empfand, der sich für einen Granitblock hielt, machte mich geneigt, auf weitere quälende Vorstöße zu verzichten. Außerdem gewinnen die schönen Erinnerungen meistens nichts dabei, wenn man sie strapaziert. Ich stellte mir vor, wie wir in einem Hotelzimmer liegen und versuchen würden, den Zauber unserer Jugend zurückzuholen, ich würde einige der Kunstgriffe, die ich bei Sydney gelernt hatte, ausprobieren, um diesen widerspenstigen Mann heftiger aufzuwühlen, der vermutlich resigniert hatte, der sein Geschlechtsleben auf ein paar Wochen im Jahr mit einer phantasielosen Ehefrau beschränkte und sich ansonsten mit den Huren von Abidjan oder von Pointe-Noire zufriedengab. Seine Leidenschaft behielt er lediglich noch seinem Beruf vor. Er hatte nicht einmal gefragt, was ich in Wellesley unterrichtete, er sprach nur von seinen eigenen Plänen. Die ersten Schleppnetze aus Perlon waren gerade aufgetaucht auf den großen kalifornischen Trawlern mit ihren Tausende von PS starken Motoren; die alten Thunfischkutter aus der Bretagne und der Vendée, die der Tradition verhaftet blieben, würden demnächst vollkommen überholt sein. »Kannst du dir das vorstellen? Ringwaden von über einem Kilometer Länge? Und zweiundzwanzig Hektar Schleppfläche? Es wird nicht lange dauern, bis auch bei uns alles leergefischt ist. Wir arbeiten ja immer noch mit lebenden Ködern, also bringen wir auch weniger Fisch herein. Diese Art von Fischfang ist am Ende.«
»Was willst du denn tun?«
»Na ja, ich muß mich halt anpassen an die anderen, wenn ich nicht verhungern will.«
Von »den anderen«, den Basken, den Spaniern, den »Amis« sprach er mit heftigem Groll. Er wäre am liebsten allein gewesen auf See. Alles, was auf dem Atlantik kreuzte und woanders als in Concarneau gebaut worden war, war ein feindliches Schiff. Jeder Kapitän hat auch eine Piratenseele. Lozerech mehr als jeder andere. Alle diejenigen, die einen Fisch oder eine Krabbe mit Schleppnetz, Treibnetz oder Harpune fingen, waren bestenfalls Ganoven, schlimmstenfalls Räuber, auf jeden Fall Vandalen und Störenfriede, außer sie stammten aus Névez, Trégunc oder Trévignon. Ich hörte ihm zu, wie er von seinem Leben sprach mit jener bescheidenen Tapferkeit und der Humorlosigkeit, die ihn kennzeichneten und die vielleicht von einem allzu langen Umgang mit dem Meer herrührten. Seit jeher hatte er die Mundwinkel eines starrköpfigen Jungen, jetzt verstärkten die vereinzelten weißen Fäden an seinen Schläfen diesen Eindruck eher noch. In der kleinen, geschlossenen Gesellschaft der Schiffsbesatzungen, wo man unter Männern, unter Kumpeln, immer denselben, lebt und die gleichen Arbeiten verrichtet, die gleichen Schicksalsschläge erleidet, über die gleichen Späße lacht, wo man die Gewinne und die Verluste teilt, entwickeln sich die Individuen nicht sehr. Das Exil, die ferne Familie, das ewige Warten auf die Rückkehr tragen dazu bei, sie in einem kollektiven Kinderstatus zu halten, im Zustand des Ausgeschlossenseins aus der Welt der Lebenden, aus der Welt derer, die jeden Tag eine Zeitung lesen, die Stimmzettel abgeben, die Kneipen besuchen und am Sonntag Spazierengehen. Gauvain hatte sich während all dieser Jahre weniger verändert als ich.
Die kurze Dämmerung der Tropen hatte sich gerade herabgesenkt wie ein Vorhang. Nur in Gauvains Augen lag noch das Leuchten des Himmels. Auch in der Bretagne bewahrt das Meer im Sommer, wenn die Nacht schon hereingebrochen ist und die Leuchttürme an der Küste aufblinken, noch einen Schimmer des Tageslichts. Mein Vater nannte es »das Restlicht«. Vielleicht war es ein wenig Restliebe, was mir unvermutet die Frage eingab: »Sag mal… Lozerech: Wirst du dein Leben lang nur noch vom Fischen reden? Nichts anderes mehr kennenlernen? Hast du gar keinen Raum in dir für den kleinen Wahnsinn? Nun ja, ich weiß ja, daß du dieses Wort nicht magst. Also sagen wir… für das Abenteuer? Für etwas anderes halt!«
Er war sichtlich getroffen und begann ernsthaft nachzudenken.
»Das bedeutet nicht unbedingt, dein Leben umzuschmeißen, es bedeutet nur, dir hin und wieder die Zeit zu nehmen, dir eine Freude zu machen… dir etwas zu leisten, irgendwas, was nicht vorprogrammiert ist.«
»Ach, weißt du, in meinem Beruf leistet man

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