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Salz auf unserer Haut

Salz auf unserer Haut

Titel: Salz auf unserer Haut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Benoîte Groult
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Praslin von Osten her nähern, setzen sie nach langem Hinundherüberlegen das Dreiwandnetz vor der Volbert-Bucht, an der Grenze ‒ wie sie glauben ‒ zwischen einer Sandbank und einer Untiefe, einem Gebiet, das vielversprechend erscheint. Conan, der aus Auray gebürtige Landsmann, fischt dort öfter, aber mit dem Schleppnetz. Danach gehen sie im Dorf der Fischer an Land, wo Conan ihnen einen schlichten, mit Latanienblättern gedeckten Bungalow zur Verfügung stellt, auf der kleinen Fledermausinsel, einige Taulängen vor der Küste gelegen, von der sie ein diamantklares Wasser trennt. Da kann man nur in der Morgendämmerung einer glühenden Liebe wohnen, wenn man noch weiß, was man mit der Siestazeit, den Regenstunden, den langen, in Grün getauchten Abenden anfängt, an denen die schrillen Stimmen der Vögel, der Frösche und diverser Horrorinsekten ihre ohrenbetäubende Kakophonie anstimmen.
Um das Netz einzuholen, am nächsten Morgen, leihen sie sich schon in der Dämmerung einen Einbaum von einem jungen Schwarzen, der ihre Aktion mit kaum verhohlener Ironie verfolgt: Er ist erstaunt, daß weiße Urlauber zum Vergnügen die Arbeit zu machen versuchen, die er das ganze Jahr über verrichten muß. Sein Lächeln wird geradezu höhnisch, als er entdeckt, wo »die Touristen« das Dreiwandnetz gesetzt haben. Vier Haie, ein blaugepunkteter Rochen, Seebarben, ein schöner Papageienfisch, aber pfundweise abgestorbene Korallen, die mit scharfen Spitzen und Zähnen gespickt sind und die zunächst vom Meeresgrund weggerissen werden müssen ‒ oder aber ein neues Netz geht drauf, und das ist für einen Fischer undenkbar. Danach muß dieses Netz stundenlang, Masche für Masche, vom grauweißen, brüchigen und scharfkantigen Korallengestrüpp befreit werden.
Während sie sich alle drei in der Piroge am Netz zu schaffen machen, mit gebeugten Köpfen, blutigen Fingern, den Rücken der glühenden Sonne ausgesetzt, löst sich ein etwa zehn Zentimeter langes, bräunliches Insekt von einer der Sitzbänke und landet auf Georges Knöchel. Sie schreit auf.
»Ein Hundertfüßer!« ruft der junge Schwarze; er ist instinktiv nach vorne gesprungen und läßt Zeichen von Panik erkennen. Mit einem Bootshaken verfolgt er das Ding, das auf dem Boden davonläuft, und dabei beobachtet er George von der Seite, als fürchte er, sie könnte jeden Augenblick ihre Seele aushauchen. Ihr Knöchel schwillt von Sekunde zu Sekunde an, aber sie setzt ihre Ehre daran, sich vor Gauvain nicht wehleidig zu zeigen.
»Natürlich spüre ich den Biß, aber es geht schon«, antwortet sie stoisch prahlend auf die ängstlichen Fragen des Jungen, der daraus schließt, daß der Hundertfüßer nicht besonders schlimm war.
»Wenn er Sie wirklich gebissen hätte«, sagt er besänftigend, »würden Sie jetzt jaulen.«
Ab welchem Punkt der Schmerzskala erwartet man bei einer weißen Frau, daß sie »jault«? George macht sich wieder an die Arbeit. Aber es dauert nicht lange, bis sie einmal mehr feststellt, daß es nichts bringt, die Tapfere zu spielen. Die beiden Männer haben den Zwischenfall vergessen und kümmern sich nur um das Netz. Zu Onkel Toms Zeiten hätte sich der Eingeborene unverzüglich auf das Bein gestürzt, um das Gift auszusaugen, aber lang, lang ist's her.
    Hyppolyte ‒ so heißt der junge Schwarze ‒ bietet mehrmals sein Messer an, um den Korallenbruch aus dem Maschenknäuel zu befreien, aber Gauvain zieht diese Möglichkeit überhaupt nicht in Betracht. Man beschädigt doch nicht ein Arbeitswerkzeug, schon gar nicht das eines anderen. Hyppolyte macht sich angewidert davon. Diese Weißen sind wirklich lächerlich! Für sie ist das Fischen wohl ein Spiel, was? Dann braucht man sich auch kein Bein für sie auszureißen. Bis zum Abend arbeiten Gauvain und George wie besessen weiter, sie reißen sich die Finger und die Hände auf, aber Conan wird sein Netz in tadellosem ‒ oder fast tadellosem ‒ Zustand zurückkriegen.
    Dem Fuß hingegen ist die Sache nicht gut bekommen: Er ist geschwollen, unförmig, die Haut glänzt und ist heiß, und der Schmerz tobt. Gauvain ist ärgerlich, weil er sich nicht früher darum gekümmert hat. Es wird ihnen nicht bewußt, daß sie es dem Hundertfüßer zu verdanken haben, wenn sie jetzt die blinde Welt der Verliebten verlassen und in eine Art ehelichen Zustand eintreten.
    Er stellt für George einen Liegestuhl im Schatten zurecht, das Bein wird hochgelegt; alle Eiswürfel des kleinen Gaskühlschranks gehen für eiskalte

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