Salz auf unserer Haut
Umschläge drauf; er läßt sich nach Praslin übersetzen, mietet ein Fahrrad, strampelt ins Dorf, um dort eine Binde und Desinfektionslösung zu erwerben, nachts steht er auf, um ihr etwas zu trinken zu bringen, und in seinem Blick ist soviel Sorge und Angst um sie zu erkennen, daß sie es so schön wie noch nie findet, Schmerzen zu haben. Im Reiseführer haben sie gelesen, daß der Biß des Skolopenders einer der gefährlichsten sei. Aber es kommt gar nicht in Frage, daß dieses Ungeziefer ihnen eine so kostbare Woche vermasselt: Mit aller Energie versucht George, den Schmerz zu minimieren, sich aus ihrem Fuß herauszubegeben, ihn vom restlichen Körper zu isolieren, um dem Gift ein unüberwindbares Hindernis aufzubauen.
Im Meer wiegt das kugelrund gewordene plumpe Anhängsel an ihrem Bein noch am wenigsten, und sie brauchen sich nur ein paar Schritte zu bewegen, dann können sie sich im lindernden Wasser niederlassen. Das Inselchen verlassen sie den ganzen folgenden Tag nicht. Gauvain massiert ihr das Bein, das langsam abschwillt, und dabei vermeidet er sorgfältig die dunkelste Stelle. »Laß mich nur… ich kann das«, beruhigt er sie. An Bord ist es immer der Kapitän oder sein Stellvertreter, der zum Krankenpfleger und manchmal sogar zum Chirurgen wird, wenn es zu einem Unfall, einem Knochenbruch kommt oder wenn ein Abszeß auftritt. Etwas ratlos, weil das ständige Programm der Bettliebe entfällt, tun sie, was ihnen gerade in den Sinn kommt, das heißt, sie unterhalten sich, entdecken, was sie, abgesehen von ihren verschiedenen Geschlechtern, noch sind. Haben sie jemals über etwas anderes als Liebe gesprochen? Ganz schüchtern nähern sie sich dieser neuen Form der Beziehung. George wünscht sich, für Gauvain kein fremdes Land mehr zu sein. Sie wünscht sich, daß er weiß, was sie mag im Leben und womit sie diese unendliche Zeit verbringt, in der sie weit weg von ihm lebt. Sie wünscht sich, daß er weiß, warum auch sie ihren Beruf liebt, und daß er lernt, die Welt genauer zu betrachten. Gibt es dazu eine bessere Gelegenheit als ihren Aufenthalt auf diesem Archipel, wo man die Geschichte wie aus einem offenen Buch ablesen kann, die Geschichte der sich überlagernden Eroberungen Frankreichs und Englands und auch die Geschichte der Piraten? Gauvain hat noch nie in einen Reiseführer hineingeschaut. Für ihn ist das Meer eine Arbeitsstätte, eine Mine, die er abbaut, ein Broterwerb. Er hat noch nie an die berühmten Seefahrer gedacht, die es kreuz und quer durchpflügt haben. Die Inseln sind dazu da, daß man um sie herum arbeitet, das ist alles. Thunfische warten darauf, gefischt zu werden, er ist auf der Welt, um zu fischen, und seine Kinder werden von diesen Fischen leben. Er hat keine Zeit gehabt, sich für die Vergangenheit zu interessieren. Neugierde ist ein Luxus, und er glaubt, von diesem Luxus ausgeschlossen zu sein. Er stellt sich gar nicht erst vor, daß er daran Gefallen finden könnte. Hier aber ist er in erzwungenem Müßiggang gefangen, und der Zufall will, daß George Historikerin ist. Also dann meinetwegen Geschichte. Sie wählt den indirekten Einstieg, um ihm keine Angst einzujagen. Kleine Jungen mögen Banditen und Abenteurer.
»Hast du nie die Memoiren der großen Seefahrer gelesen?« »Ach, weißt du, außer Krimis und Comics gibt es an Bord nicht viel zu lesen. Ach ja, doch! Ich erinnere mich jetzt, ich hab' was über Kolumbus gelesen. Das war ein Buch, das ich als Preis in der Schule in Quimperlé gewonnen habe.«
»Ich werde dir ein Buch über die Geschichte der Seychellen schenken, zur Erinnerung an unseren Aufenthalt. Du wirst sehen, das ist ein echter Krimi, wo sich die Engländer und die Franzosen abwechselnd jagen; dabei haben sie unentwegt die gleichen Inseln getauft, enttauft, neu getauft, beide Seiten haben versucht, ihre Kirche anzusiedeln, haben sich bereichert, sich gegenseitig umgebracht, und schlußendlich waren es immer die Piraten beider Lager, die den Gewinn davongetragen haben. Angeblich sind diese ganzen Inseln voller vergrabener Schätze. Sie waren ideale Schlupfwinkel, zumal sie damals unbewohnt waren.«
»Pirat!« sagt Gauvain verträumt. »Das muß auf jeden Fall aufregender gewesen sein, als eine Touristenvilla aufzubrechen!«
»Du bist lustig. Du wärst unfähig gewesen, dich als Pirat zu verdingen. Viel zu moralisch, der Lozerech-Sohn! Du mußt dich ja schon überwinden, als Liebhaber tätig zu werden…«
Gauvain verpaßt ihr einen zärtlichen Stoß,
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