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Salz auf unserer Haut

Salz auf unserer Haut

Titel: Salz auf unserer Haut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Benoîte Groult
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Wort Zufall etwas abgewinnen könnte. Liebende sind wie Kinder: Sie werden nie müde, die immer gleichen Geschichten zu hören. Erzähl mir doch noch mal die von dem Jungen und dem Mädchen, die sich auf eine Insel flüchteten… Und wieder einmal betrachten wir in der Rückschau jene unwahrscheinliche Nacht des Jahres 1948, die uns bis heute noch nicht alle ihre Geheimnisse enthüllt hat. Ich entlocke ihm eine erneute Beschreibung seiner Haßliebe für das kleine Mädchen von den Touristen nebenan. Er fragt mich einmal mehr, was mir wohl an dem Bauernlümmel, der er war, gefallen hat, wo er sich doch vorstellte, daß ich in Paris ein flitterglitzerndes Leben führte, wie in den amerikanischen Filmen im Abendkleid Walzer tanzend, in den Armen von sorgfältig pomadisierten Jünglingen, unter funkelnden Kristalleuchtern. Ich verriet ihm nicht, daß ich mit einem pickeligen, kurzsichtigen Mathematiker schlief, auf einer marokkanischen Decke, die keinen Vergleich aushielt mit dem gestampften Boden unserer Hütte und dem Duft unseres Strandes bei Ebbe.
Im Radio lief die Sendung »Dreißig Jahre französisches Chanson«, und Gauvain sang jeden Refrain mit. Seeleute hören viel Radio während der Arbeit ‒ noch etwas, was Lozerech auf den Seychellen vermißte ‒, und so kannte er alle Texte, vor allem die schlimmsten; aber auch deren Niveau wurde gehoben durch seine schöne Baßstimme, die sich nicht verändert hatte seit der Zeit, da sie mir ohne mein Wissen einen Liebestrank einflößte, damals bei Yvonnes Hochzeit. In acht Monaten in Victoria, Karedig?

IX AUF, AUF, IHR FREIEN MENSCHEN
    Wir haben beide einen schwierigen Winter durchgemacht, Sydney und ich. Sein Roman hatte allen Mißerfolg, den er sich nur wünschen konnte. Aber es ist eine Sache, die von der Gesellschaft verstoßenen Autoren zu bewundern und diejenigen zu schätzen, die dem Erfolg nicht nachlaufen. Eine ganz andere ist es, die Gleichgültigkeit des Publikums und das ausbleibende Echo in den wichtigen Zeitungen und Zeitschriften selbst zu erleben. Dies erfordert eine Seelenstärke und eine Verachtung des Gewöhnlichen, die Sydney nicht aufbrachte. Ganz zu schweigen von einem Minimum an äußerem Wohlstand, und über den verfügte er seit seiner Übersiedlung nach Europa nicht mehr. Dafür hatten meine beiden Publikationen einen für historische Fachbücher, die in wissenschaftlichen Reihen erschienen, unverhofften Erfolg, und das hatte unsere Beziehung auf subtile Weise verändert. Ich interessierte ihn mehr, seitdem er weniger Leute interessierte, obgleich er meine Literatur weiterhin als »Brotliteratur« betrachtete. Irgendwann kommt ein Alter ‒ und schließlich hatte Sydney die Fünfzig bereits überschritten ‒, da diese Art von »Brot« nicht eines gewissen Adels entbehrt.
    Ich habe oft an Gauvain gedacht in jenem Jahr. Eine marineblaue Mütze auf dem Kopf eines Seemanns in einem Hafen, ein bretonischer Akzent irgendwo in einer Straße von Concarneau, die Besuche bei Madame Lozerech, die in ihrem verlassenen Bauernhof vor sich hin schrumpfte ‒ alle ihre Kinder waren in der Ferne, waren Seeleute oder Lehrer ‒, und schon stieg ein Schwall von Zärtlichkeit in mir hoch für den kleinen Jungen, der mir meine Fahrradreifen aufschlitzte und mich George Ohne-es nannte. Ich hatte Ähnlichkeit mit der Ehefrau eines Gefangenen, die ihr Leben auf Sparflamme gestellt hat, um auf ihn zu warten. Nachts neben Sydney träumte ich von einem andern. Geschlechtsorgane, die sich langweilen, haben Freude daran, sich unerhörte Jubelmomente vorzustellen. Diese Mösen! Manchmal erleben sie sie sogar. Ich war damit beschäftigt, meine Reise zu arrangieren. War es eine Alterserscheinung? Nicht nur, um Gauvain zu sehen, hatte ich das Bedürfnis, auf die Seychellen zu reisen, sondern um mit verliebten Augen betrachtet zu werden. Weit weg von seinem feuchten Blick wurde meine Haut langsam wie Pergament. Ich sah auch, wie meine Mutter trotz zähen Widerstands allmählich unterlag im Kampf gegen die Zeit, wie sie ihr Gebiet abtrat, wie sie Aktivitäten gegenüber, die sie immer gemocht hatte, nun Desinteresse heuchelte, um ihre Niederlage nicht einzugestehen. Sie wußte, daß die abgetretenen Gebiete nicht mehr zurückerobert werden, und sie warnte mich bereits. Aus ihren Worten sprach der unverminderte Lebenswunsch, den ich bei ihr stets geschätzt hatte.
    »Überleg dir gut, was du verlieren würdest, wenn du auf deinen ›bretonischen Freund‹ verzichtetest« ‒

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