Salz auf unserer Haut
inzwischen die unheilvolle Manie, meine beiden Männer zu vergleichen, und ich entdeckte, daß Sydney niemals an meinen Körper als an etwas Einzigartiges gedacht hatte, und auch nicht an mich als eine unersetzbare Frau. Mit Recht übrigens. Ich gab ihm vollkommen recht, aber ich hatte den Vorzug genossen, einen von mir Besessenen zu erleben, und ich konnte mich nicht mehr so recht an vernünftige Gefühle gewöhnen.
In den ersten Jahren in Amerika hatte ich mich geschmeichelt gefühlt, weil ich die erotischen Sitten der intellektuellen Avantgarde teilte. Damals glaubte ich noch, daß es in der Liebe eine Avantgarde gäbe! Mit Ellen Price und Al und all unseren Freunden, den Therapeuten und Sexopeuten und Analytikern und Sexualanalytikern, debattierten wir in brillantester Form über die Liebe und die Lust, aber das verhalf uns nicht unbedingt dazu, mehr zu lieben und mehr Lust zu empfinden. Al war nach Ellens Buch impotent geworden, außer mit Prostituierten. Das war seine Antwort an seine private Gespielin. Sydney hingegen war zum Overdrive übergegangen, aber in Appassionata-Manier. Diese Gewandtheit im Dilettantismus, um die ich die Amerikaner so beneidet hatte, erschien mir jetzt mehr als ein Gebrechen denn als Lebenskunst. Ich erkannte, wie sehr im Zusammenleben alles eine Frage des Blickwinkels ist: Die gleiche Geste kann ärgern oder rühren, je nachdem ob man nach einem Grund sucht, mit jemandem zu leben oder jemanden zu verlassen. Fortan brachte mich alles an Sydney auf die Palme.
Aus verschiedenen Gründen hätte er mich mittlerweile ganz gerne geheiratet, aber inzwischen war mir jegliche Lust dazu vergangen. Schon der Gedanke, in meinem Alter plötzlich einen amerikanischen Namen zu tragen! Und dann die Sache mit der Fürsorge im Alter, die als Superpack mit der Institution Ehe verkauft wurde… das widerstrebte mir. Dabei war Sydney noch nie so zärtlich, noch nie so besorgt gewesen. Man geht als Paar selten im selbstverständlichen Gleichschritt! Manchmal genügt ein grausames Detail, und man entdeckt eines Tages, daß alles zu Ende ist. Für mich geschah das eines Abends, als Sydney mir nach der Liebe in die Augen sah und voller Dankbarkeit sagte: »Welche Zärtlichkeit ich in deinem Blick lese!«
In Wirklichkeit hatte ich die ganze Zeit an ein Paar Schuhe gedacht, die ich am Tag zuvor in einem Schaufenster gesehen und dummerweise nicht gekauft hatte. Ich hatte gerade beschlossen, sie mir nachher zu holen, sobald ich, ohne die Regeln der Schicklichkeit zu verletzen, dieses Bett würde verlassen können!
So ergab es sich also, daß ich innerhalb eines Jahres mich innerlich mehr oder weniger von meinen beiden Männern löste. Von Sydney ganz, weil er nach Amerika zurück mußte. Von Gauvain weniger, weil die Trennung uns ja nie ganz geschafft hatte. Aber ich hatte Lust zu leben, ohne von Unmöglichem zu träumen. Man wartet nicht elf Monate von zwölfen auf einen Abwesenden, wenn man die Vierzig überschritten hat.
Erreichte ich allmählich schon das melancholische Alter, in dem Freundschaft lebenswerter und kostbarer als Liebe zu sein scheint?
X THE ROARING FIFTIES
Mit immer größeren Schritten nähere ich mich den Fünfzigern, einem Alter, in dem die Überraschungen keine guten mehr sein können. Das Beste, was man sich da noch erhoffen kann, ist der Status quo. Die da und dort beobachteten Zeichen des Verfalls scheinen anfangs geringfügig, da sie aber die ersten sind, empören sie den Betroffenen oder bedrücken ihn. Dabei wird man diesen kleinen Fältchen um die Augen, diesen kleinen Unvollkommenheiten des Körpers, die leicht zu kaschieren sind, eines Tages nachtrauern, wenn die schlimmeren auftauchen. Wenn man die Photos vom vergangenen Sommer betrachtet, wird man sich fortan jedes Jahr sagen: »Siehe da, letzten Sommer habe ich noch verdammt gut ausgesehen!«
Und in zwei Jahren entdeckt man dann, daß man auch im Vorjahr noch verdammt gut ausgesehen hat. Nun, ich bin soweit, ich bin in jenem »Jahr zuvor«, dem ich zwangsläufig nachtrauern werde. Der einzige vertretbare Ausweg besteht darin, sich fortan zu bemühen, die Gegenwart im Dämmerlicht einer noch viel beängstigenderen Zukunft zu genießen!
Meinen Kormoran habe ich sehr wenig gesehen in diesen drei Jahren, und ich habe mich auch bemüht, nur im Licht unserer unmöglichen Zukunft an ihn zu denken. Die Natur, zumindest die meine, ist barmherzig: Wenn man nicht mehr begehrt, will sagen, wenn das Objekt der Begierde sich entfernt hat,
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