Salz auf unserer Haut
so nannte sie ihn feinfühlig. »Intensives Erleben ist unersetzbar. Vom Verstand allein läßt sich der Körper nicht ernähren… Tragisch ist nur, daß Frauen wie wir beides brauchen«, folgerte sie in gespielt betrübtem Ton. Allerdings hatte sie Sydney nie sehr gemocht. Ich habe François und Luce dazu überredet, in der dritten Woche auf den Seychellen zu mir zu stoßen, wenn es die Gesundheit von Luce erlauben würde. Anschließend könnten wir gemeinsam nach Frankreich zurückfliegen. Ich hatte ihnen soviel vorgeschwärmt von der Schönheit dieser Inseln, daß sie eigentlich nur auf eine Gelegenheit warteten, sie zu besuchen. Luce war gerade operiert worden und unterzog sich einer Chemotherapie. Ihr Mut und ihre Zuversicht ließen uns jedoch hoffen, daß die Krankheit nicht nur zurückgedrängt, sondern besiegt werden würde. Als ich endlich in Mahé ankam, feierten die Seychellois ebenfalls Geburtstag, es war der erste Jahrestag ihrer Unabhängigkeit, und die Freudenstimmung ringsum trug viel zu unserer eigenen bei. Wir hatten den Eindruck, ein altes Paar zu sein, weil wir einen Jahrestag zu begehen hatten und weil wir uns bekannte Orte wieder aufsuchten. »Erinnerst du dich, wie das war, als der Skolopender mich gebissen hatte?…« ‒ »Und diese beiden makabren Paare auf Praslin mit ihrer obszönen Nuß!«
Mit Ausdrücken wie »erinnerst du dich« beruhigen sich die Liebenden, die an sich selbst zweifeln. Die erste Nacht haben wir damit verbracht, daß wir in den Straßen unter den Palmen und in allen Nachtlokalen und Restaurants der Insel tanzten. Nur offiziell war das britische Gepräge ausgelöscht. Um Mitternacht standen die Musiker stramm, so steif wie in der Zeit, als sie noch God Save the Queen spielen mußten, und stimmten die funkelnagelneue Nationalhymne an:
Auf, auf, ihr freien Menschen, stolze Seychellois, Gleichheit für uns a-alle, Freiheit für i-immer!
Auch Frankreich mit seiner Revolution und deren Rattenschwanz von hehren Prinzipien hatte die Gemüter geprägt.
Meine Hymne, meine eigene, sang ich auf Gauvain: »Auf, auf, mein freier Aufstehmann, stolzer Concarnois!«
So brachten wir an jenem Abend eine unanständige Note in die patriotischen Klänge ein. Unser ganz persönliches Fest endete im Morgengrauen im lauen Ozean, aber diesmal haben wir nicht die schüchternen Verliebten gespielt. Den Luxus der Entsagung kann man sich nur mit zwanzig leisten. Verlangen sie nach Beschreibung, diese Tage, aus denen wir Nächte machten, wenn es regnete? Ach, erspar uns das doch lieber, sagt die Anstandsdame. Die Nummer mit den Seychellen hast du schon gebracht. Und wenn Sex nicht mehr aufregend ist, wird er abstoßend. Da gibt es keine goldene Mitte. Am dritten Tag ist bei Gauvain am linken Augapfel ein Äderchen geplatzt. Es tut ihm nicht weh, aber jedesmal, wenn ich ihn ansehe, mache ich mir Vorwürfe: Ich bin so unersättlich, daß mein Opfer einen Augeninfarkt bekommen hat, ich mißbrauche ihn! Und trotzdem mache ich weiter. Als führe ich im Auto nur noch mit Choke. Es kann passieren, daß ich den Motor beinahe abwürge, aber stehen bleibt er nie. Ähnlich wie eine »grüne Hand« das Wachstum der Pflanzen anregt, so stimuliert Gauvains magische Hand meinen Körper und läßt mich unentwegt neue erogene Zonen entdecken. Es gibt vergängliche, die ich nie wieder sehe; andere, die zeitweilig verschwinden, und die treuen, die so verläßlich da sind wie der Garten vor dem Haus mitsamt seinem ewig gleichen Vogelgezwitscher. Aber selbst wenn mir Gauvain Fragen stellt, bin ich nicht in der Lage, diese wandernden Grenzen zu beschreiben, so übersättigt bin ich vor lauter Wollust und Glücksgefühlen, von denen ich nicht weiß, ob alle die Bezeichnung Orgasmus verdienen nach der Prädikatsliste von Ellen Price.
»Du sagst mir nicht alles, was du magst«, behauptet Gauvain beharrlich. »Es gibt noch Dinge, die du dich nicht zu verlangen traust.«
»Fast nichts, du kannst ganz beruhigt sein. Und dieses ›Fast nichts‹ bringt mir alle Lust. Sonst… sonst wärst du ja ich! Wie schrecklich!«
»Aber meistens weiß ich nicht genau, wann es dir kommt. Das beunruhigt mich schon. Ich frage mich, ob…«
»Frag nicht dich, frag mich. Sex ist nicht einfach Sex, da irren sich manche. Niemand vermittelt mir wie du… die Lust, natürlich, vor allem aber den Sinn für das Heilige in der Wollust.«
Ich wage es kaum, diese Worte auszusprechen. Aber wir liegen im Dunkeln, und Gauvains Protest bleibt aus. Er
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