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Salz auf unserer Haut

Salz auf unserer Haut

Titel: Salz auf unserer Haut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Benoîte Groult
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fürchtet sich nicht vor den großen Dingen. Und ich fürchte mich auch vor nichts mehr mit diesem Mann. Ich erlaube mir alles, gebe allen meinen Launen nach, ich singe und tanze vor ihm, als ob ich allein wäre. Ich trage Kleider, die ich nach meiner Rückkehr sorgfältig werde verstecken müssen. Ich trage ein weiches Satinnachthemd, ein echtes »Reiß-es-mirvom-Leib«, wie ich es im Zivilleben nie gekauft hätte. O ihr Mittel, die ich sonst verwerfe oder verachte! Wie wunderbar ist es, euch einzusetzen… und eure wohltuende Wirkung zu erproben!
Ich habe mich sogar wie eine Ehefrau benommen: Ich habe Gauvain zum erstenmal an Bord begleitet, seine Kabine besichtigt, um zu sehen, wo er schläft, wo er die Photos von mir und meine Briefe versteckt. Und ich stand am Kai, als die Raguenès wieder in See stach, winkte mit der Hand, dann mit dem ganzen Arm, dann lief ich am Kai entlang, als seine geliebte Gestalt allmählich kleiner wurde und die Männer, die nicht unmittelbar Dienst hatten, an Deck zusammengeschart standen, um zuzusehen, wie das Land sich entfernte ‒ so wie das in allen Häfen der Welt üblich ist. Und meine Augen wurden feucht wie bei allen Frauen der Welt, die ihren Seemann abfahren sehen. Zum Glück waren François und Luce am Vorabend gekommen, und wir hatten den letzten Abend zu viert in der Nähe des Hafens verbracht. Gauvain fühlte sich wohl mit ihnen, und ich war ihnen dankbar, weil sie ihn nicht als kuriosen Seebären betrachteten, sondern als jemand unseresgleichen, der eben eine andere Lebenserfahrung gemacht hatte. Jeder wäre bereit, einem Eskimo oder einem Türken voller Respekt zuzuhören, wenn er sein Leben schildert, aber die wenigen Freunde, denen ich Lozerech vorgestellt hatte, verbargen ihre Herablassung kaum, als sie ihn vom Meer erzählen hörten. Er war zu komisch mit seinem Akzent und als Bretone zugleich geographisch zu nahe, um die Neugier der Pariser zu verdienen. Schließlich lebte man ja nicht mehr zu Pierre Lotis Zeiten. François jedoch war fähig, vom Lokalkolorit zu abstrahieren und sich auf den Charakter des Menschen zu konzentrieren. Wir fühlten uns wie vier Freunde an jenem Abend, und Gauvain war nicht mehr »diese seltsame Type, die du dir auf dem Bauernhof geangelt hast…«
Wir hatten versprochen, uns über Conan zu schreiben, obwohl für ihn Wochen vergingen zwischen jeder Möglichkeit, einen Brief abzusenden oder meine Post in Empfang zu nehmen. Auch diesen Trost mißgönnte ihm das Meer, den banalsten, den meistverbreiteten, sich ein Zeichen geben zu können ‒ ein Trost, der allen Menschen, sogar den Gefangenen, zusteht. Schon in seinem ersten Brief gestand er mir, was er mir in Mahé nicht gesagt hatte: Er würde mit dem Thunfisch auf den Seychellen nicht weitermachen. Sein berühmt-berüchtigtes, mysteriöses Projekt in Südafrika würde er nun doch verwirklichen. Es blieben ihm nur noch drei oder vier Jahre durchzuhalten ‒ das sei ja keine Ewigkeit.
Leute, die weder die Vierzig-Stunden-Woche noch Feiertage noch Wochenendruhe kennen, haben ganz ersichtlich nicht die gleiche Auffassung von Zeit und Dauer wie wir. Drei Jahre durchhalten, das war für mich eine endlose Zeit, und diese Exilanten-Liebe, die immer hinter Gauvains familiären und beruflichen Notwendigkeiten zurückzustehen hatte, die ermordet wurde und wiederauferstand, entmutigte mich allmählich. Zumal ein großes Projekt meine Gedanken besetzte: Diese Geschichte der Medizin und der Frauen, die François mit mir schreiben wollte, nahm langsam Gestalt an. Als Gynäkologe und Geburtshelfer würde er mir eine wertvolle Hilfe sein. Mein Alltag paßte mir ganz gut. Das Geld, das ich verdiente, konnte ich nach Belieben ausgeben, ich konnte Freunde treffen, reisen, eine Wohnung bewohnen, die mir gefiel… Die Kluft, die zwischen meiner Lebensweise und der Lozerechs bestand, war mir klar. Er würde erst in späten Jahren von dem so hart verdienten Geld, von dem hübschen Haus profitieren, in dem er so wenig gelebt hatte und in das er erst dann zurückkommen würde, wenn er endgültig verlernt hätte, wie man an Land lebt. So wurde Gauvain trotz unserer monatlichen Briefe nach und nach zur fernen Silhouette am Horizont. Ich bemühte mich ernsthaft darum, mich zu »entlieben«. Aber das Herz ist manchmal merkwürdig treu… Die Zeit verging, und derjenige, von dem ich mich »entliebte«, war Sydney. Sein ganzer Krempel ging mich schon kaum mehr etwas an, als wäre er ausrangiertes Material. Ich hatte

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