Salz der Hoffnung
war unübersehbar.
»Das ist wohl verständlich.« Er überflog einige Schriftstücke, die auf seinem Schreibtisch lagen, und sah dann zu ihr auf. »Ehe wir anfangen, Regal, laß mich folgendes sagen: Ich habe deine Situation lange und gründlich durchdacht. Es ist bestimmt schwer, plötzlich so ganz allein zu sein. Du hast keine Verwandten mehr, nicht wahr?«
Sie schüttelte den Kopf. Warum mußte er ausgerechnet an das Thema rühren, das sie nach Kräften mied? Sie mochte Verwandte väterlicherseits haben, aber wie sollte sie das wissen?
»Für eine junge Dame ist das eine große Bürde«, fuhr er fort. »Aber jetzt, da du zu uns gekommen bist, werden wir dir noch viel mehr aufbürden, so daß dir gar keine Zeit bleibt, dich selbst zu bedauern.«
Sie starrte ihn mit offenem Munde an. Das war wohl kaum der angemessene Tonfall, um eine Trauernde anzusprechen.
Er grinste. »Und außerdem siehst du wunderbar aus in Schwarz. Ich fand immer schon, daß Schwarz blonden Frauen besonders gut steht. Und ehe ich’s vergesse, herzliche Grüße von Judith.«
»Danke.«
»Also dann, kommen wir zum Geschäft. Dein Großvater hat dir alles hinterlassen, was er besaß. Wußtest du das?«
»Ja.«
»Was weißt du über seine Geschäfte?«
»Nicht viel. Die Sägemühle. Land. Irgendwo hatte er Land.«
»Also schön. Ich möchte, daß du dir all diese Papiere hier ansiehst. Ich habe eine Liste dazu zusammengestellt. Bankauszüge, Urkunden, Besitztitel und so weiter. Würdest du bitte jedes Dokument, das du gelesen hast, auf der Liste abhaken?« Er reichte ihr den Stapel. »Es ist eine Aufstellung sämtlicher Vermögenswerte von Jasper Hayes.«
Regal nahm eine Feder und Schreibpapier, studierte die Papiere sehr sorgsam und machte sich Notizen. Sie wollte nicht, daß er den Eindruck gewann, sie sei eine dumme Gans, die alles mit sich machen ließ. Ebensowenig sollte er bemerken, daß die Länge seiner Liste sie überraschte.
»Ich muß mich entschuldigen, daß wir so lange gebraucht haben, Regal«, sagte er. »Aber wir mußten erst einmal Wertgutachten der einzelnen Vermögenswerte einholen.« Schließlich hatte sie auch den letzten Punkt auf der Übersicht abgehakt. »Was, denkst du, ist all dies wert?«
Leonard schob ihr ein Kontenbuch zu und wies mit dem Finger auf eine Zeile. »Wir schätzen, etwa neunhunderttausend Dollar. Minimum.«
Regal war nicht sicher, daß sie ihn richtig verstanden hatte, und die Zahlen auf dem Papier verschwammen plötzlich vor ihren Augen. Hatte er neunhundert gesagt oder neuntausend? Ihre Handtasche glitt zu Boden, ein häßliches, schwarzes Ding, das ihrer Großmutter gehört hatte. Es enthielt nichts außer einem Taschentuch. Leonard schob seinen Stuhl zurück, als sei er im Begriff, sie für sie aufzuheben, aber sie hielt ihn zurück. »Ich mach’ das schon.« Sie überlegte, ob es wohl gierig erscheinen würde, wenn sie ihn bäte, die Zahl zu wiederholen.
Sie mußte wohl sehr verwirrt aussehen, denn er schrieb die Summe auf ein Stück Papier und schob es ihr hin. »Vielleicht erscheint es dir so wirklicher.«
Das tat es allerdings. Trotzdem schüttelte sie ungläubig den Kopf. »Ich kann das nicht fassen. Ich hatte ja keine Ahnung … Großvater hat mir immerzu Vorträge über Sparsamkeit gehalten, er hat nie mehr ausgegeben als unbedingt nötig. Dabei hätte er die ganze Zeit wie ein König leben können. Und es war gar nicht notwendig, daß er noch ständig selbst zur Mühle fuhr.«
»Er wollte es aber so, Regal. Zu meinem Vater hat er gesagt, er werde dafür sorgen, daß du niemals finanzielle Sorgen haben würdest.«
»Aber es ist fast eine Million Dollar! Wußte sonst noch jemand, wie reich er in Wahrheit war?«
»Nur mein Vater. Ich war ebenfalls überrascht. Und beunruhigt. Wir beide haben jetzt eine große Verantwortung. Sobald du wieder zu Atem gekommen bist, mußt du ein paar Entscheidungen treffen. Möchtest du diese Liste mit nach Hause nehmen und in Ruhe darüber nachdenken?«
»Nein, ich habe mich schon entschieden. Als erstes will ich die Sägemühle verkaufen.«
»Aber sie wirft nach wie vor viel ab. Warum verkaufen?«
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