Salz und Asche - Roman
nicht herunter. Till sagt, ich soll sie oben lassen, aber sie maunzt so schrecklich. Sie hat Angst.«
»Wer war der Kerl?«, erkundigte Till sich.
Nun kam auch noch Lene aus der Küche. »Suse, willst du nicht buttern, bevor die Sahne sauer wird? Und die eine Henne hat Legenot. Willst du sie schlachten? Und kann ich heute früher zu Großvater? Wir müssen heute seine Stube putzen und …«
Till fuhr sich durch die Haare. »Halt mal die Luft an, Lene. Du kannst doch wohl einen Moment warten, bis …«
»Ach, und wer bist du, dass du mir den Mund verbietest? Was verstehst du denn von …«
»Ich möchte etwas trinken«, sagte Regine leise.
»Suse, kannst du sie nicht vom Baum holen?«, quengelte Liebhild.
Susanne vergewisserte sich noch einmal rasch, ob Rieger gegangen war, dann atmete sie tief durch und hob beide Hände. »Schluss jetzt. Lene, geh mit Gine in die Küche und gib ihr etwas zu trinken. Hier, nimm das Brot mit. Wir reden später. Liebchen, geh zum Kirschbaum, ich komme gleich. Till, wo ist Vater?«
»Nicht da. Was ist denn los?«
»Martin?«
Till wies mit dem Kopf zur Werkstatt, wo ein Beitel gleichmäßig auf ein Stecheisen klopfte. »Hörst ihn doch. Ich muss auch weitermachen. Liebchen hat mich nur wegen der dummen Katze rausgerufen. Wo wart ihr so lange?«
»Till, ich muss mit dir sprechen, und du darfst es bitte nicht ausplaudern.«
»Müssen wir wieder hinter den Hühnerstall?«
»Mach dich nicht lustig. Es geht um den Mord und die verschwundenen Kinder. Ich bin ganz sicher, dass ich einige von den Kindern heute in der Warborch gesehen habe. Der Hudenvogt arbeitet mit dem Kinderhändler zusammen, und der Mann, der uns gefolgt ist, gehört mit dazu. Auch wenn du das jetzt für Unsinn halten wirst, aber ich habe guten Grund anzunehmen, dass Herr von Waldfels der Kinderhändler ist. Obendrein hat wahrscheinlich auch der Mord damit zu tun. Der Mann von eben hat eine Frau
dafür bezahlt, gegen Albert auszusagen. Ein zweiter, der beim selben Herrn angestellt ist, kennt den wahren Mörder. Till, was soll ich bloß machen? Ich kann das doch nicht alles Vater erzählen. Entweder glaubt er mir nicht, oder er wird verrückt.«
Till sah sie einen Moment lang schweigend an, dann lockerte er Schultern und Nacken, so wie er es tat, bevor er etwas Schweres hob. »Vielleicht sollten wir doch hinter den Hühnerstall gehen. Herrgott, Suse, woher weißt du das alles? Bist du auch nachts herumgeschlichen? Erzähl das bloß nicht Vater, da werde ja schon ich fast verrückt. Erklär mir, wie du darauf gekommen bist.«
Susanne wurde heiß, und ihre Hände zitterten. »Ich habe mit Jan Niehus gesprochen. Er hat die ganze Zeit Alberts Geschwister gesucht und eine Spur gefunden, die zur Hude führte. Weil er dort nicht selbst weiter nachforschen konnte, bin ich heute mit Regine hingegangen.«
Tills Augen funkelten gefährlich. »Hat Jan dich hingeschickt? Dafür schlage ich ihm die Nase ein.«
»Nein, hat er nicht. Er wollte nicht, dass ich gehe. Aber ich dachte, ich müsste auch etwas unternehmen. Ich weiß jetzt, dass es leichtsinnig war, aber …«
»Ach, hör doch auf. Natürlich musstest du gehen. Ich wäre auch gegangen. Jan hätte es dir gar nicht erst erzählen dürfen, wenn er nicht wollte, dass du es tust. Aber er kann ja nicht wissen, wie tüchtig du bist, nicht wahr? Also beruhige dich, wir werden damit schon zurechtkommen. Ich bleibe heute Abend hier und helfe dir bei den Hühnern. Du kannst ja sowieso nicht ordentlich schlachten. Dann erzählst du mir alles ganz genau, ja?«
Susanne hätte ihn gern aus Dankbarkeit umarmt, doch das war zwischen ihnen nie üblich gewesen.
Die nächsten Stunden vergingen wie im Flug, während sie Liebhilds »Asche« getauftes Kätzchen vom Baum rettete, die Aufgaben erledigte, die Küche und Haus ihr abverlangten, und schließlich Till die Einzelheiten ihrer Nachforschungen berichtete.
Von dem, was zwischen Jan und ihr vorging, sagte sie ihrem Bruder nichts, und er ließ nicht durchblicken, ob er etwas ahnte.
Vielleicht weil sie Jan so sorgsam verschwieg, fiel ihr etwas Wichtiges erst viel später auf. Sie lag im Bett und ließ ihre Gedanken schweifen, als sie sich daran erinnerte, dass Rieger zwei Tage zuvor möglicherweise Jan dabei beobachtet hatte, wie er abends nach seinem Besuch der Hude zu ihr gekommen war. Spätestens jetzt, nachdem Rieger sie zu ihrem Haus begleitet hatte, musste ihm klargeworden sein, dass es zwischen Jan und ihr einen
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