Salz und Asche - Roman
Zusammenhang gab. Falls er noch Zweifel daran gehabt hatte, dass Jan ihm auf der Spur war, waren sie nun gewiss ausgeräumt.
Sie vergrub den Kopf im Kissen, als sie einsah, dass sie auch in dieser Hinsicht nur Schaden angerichtet hatte. So viel zu ihrer Tüchtigkeit. Sie würde Jan gleich am nächsten Tag warnen müssen und ihm gestehen, wie dumm sie sich verhalten hatte.
12
Bruderliebe
T ill hatte Susanne am Donnerstagmorgen versprochen, Jan an ihrer Stelle zu warnen. Doch anschließend machte ihr Bruder sich so rar, dass sie am Freitagabend noch nicht wusste, ob es ihm gelungen war, Jan zu sprechen. Sie ging erschöpft zu Bett und konnte doch wieder einmal nicht einschlafen. Regine und Liebhild atmeten längst tief und gleichmäßig, während Susanne am liebsten aus dem Bett gesprungen wäre.
Sie stand auf, als es an der Kammertür kratzte und leise maunzte. Die kleine »Asche« verbrachte gern die Nacht möglichst nah bei Liebhild, Regine und ihr. Susanne hatte nicht das Herz, sie auszusperren.
Ihre nackten Füße fanden den Weg über die ausgetretenen Holzdielen auch in der Dunkelheit, sie ging ihn mit geschlossenen Augen. Umso heftiger erschrak sie, als sie die Augen wieder öffnete und im Flur vor der Kammer einen weit größeren Schatten erblickte als den der Katze.
»Bist du verrückt? Mir blieb fast das Herz stehen«, zischte sie.
Till hielt den Finger an seine Lippen und bedeutete ihr, ihm zu folgen. Er ging ihr voraus in die Abstellkammer neben der Küche. Susanne nahm an, dass er dort mit ihr sprechen wollte, doch er öffnete das Fenster und machte einen Diener vor ihr. »Nach dir«, flüsterte er.
Susanne zögerte nur kurz, dann raffte sie ihr Nachthemd und kletterte vorsichtig hinaus auf den Hof. Sie war nicht überrascht, als ihr Bruder ihr dabei spielerisch in die nackten Waden kniff. So eine Gelegenheit, sie zu necken, ließ er nie an sich vorüberziehen. Doch als sie sein Gesicht im Mondlicht erkennen konnte, entdeckte sie nicht das Grinsen darauf, das sie erwartet hatte. Seine Miene war so ernst wie selten.
Sie sprachen schließlich im Gemüsegarten miteinander, dem einzigen Ort, an dem sie nicht Gefahr liefen, jemanden zu wecken.
Susanne spürte die kühle Erde unter ihren nackten Fußsohlen, ein Gefühl aus ihrer Kindheit, das ihr schon fremd geworden war. »Was gibt es denn?«
Till musterte sie mit einem strengen Blick. »Woher hast du die blauen Flecken am Bein?«
Susanne sah ihn verblüfft an. Das war die letzte Frage, die sie erwartet hatte. Sie zuckte mit den Schultern. »Ich bin gefallen.«
»Wann? Wo?«
»Hast du mich deshalb hier herausgelockt? Dann geh ich lieber wieder. Ich dachte, du hättest mir etwas Wichtiges zu sagen.«
»Du hast nicht erzählt, dass du gestürzt bist. Warum nicht?«
»Weil es nicht so schlimm war. Alle meine Knochen sind heil.«
»Also hat dich niemand geschlagen?«
»Natürlich nicht. Till, was soll das? Was ist denn los?«
»Nun, da du in letzter Zeit ein abenteuerliches Leben führst, dachte ich … Ich war bei Niehus und habe ihn gewarnt, so wie du es wolltest. Er ist blass geworden, als er
gehört hat, was du getan hast. Das war sein Glück, sonst hätte ich ihm vielleicht doch noch auf die Nase gehauen.«
»Tu das um Himmels willen nicht. Das wäre furchtbar dumm von dir.«
»Ja, dass mir das nicht sonderlich gut bekommen würde, fürchte ich auch, aber der erste Hieb wäre es mir wert. Der Mann soll sich selbst in Gefahr bringen, so viel er mag, aber nicht dich.«
»Es ist meine eigene Entscheidung gewesen. Lass ihn in Ruhe. War das nun alles, was du wolltest?«
»Nein. Ich habe noch mehr getan. Kathi hat für mich ihren Mann um einen Gefallen gebeten. Er hat sich bei den Schiffern umgehört, was sich in der Warborch tut. Es ist beinah gewiss, dass die Kinder noch am Mittwochabend mit dem Prachtschiff flussabwärts gebracht worden sind. Das Schiff ist danach zurückgekehrt.«
Obwohl Tills Worte nur ihre Vorahnung bestätigten, fühlte Susanne eine Welle von Verzweiflung. Es würde schwierig sein, das neue Versteck der Kinder zu finden. Damit war der Beweis für ihre Geschichte dahin. »Meinst du, die Schiffer würden vor einem Büttel oder Richter aussagen, dass sie die Kinder gesehen haben?«
Till schüttelte den Kopf. »Soweit ich es begriffen habe, halten sich die Schiffer, wenn du von den ansässigen Salzfahrern absiehst, möglichst aus der städtischen Justiz heraus - um es höflich auszudrücken. Sie haben in diesem Fall nur
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