Salzburger Totentanz
Meter von Boschs Wohnung entfernt, dennoch kam ihm der Weg durch die düstere Pfeifergasse und über den breiten Mozartplatz schier unerreichbar vor.
Bosch hatte Katharina Morstein letzten Winter am Arlberg im Hotel seiner Mutter kennengelernt, wo sie mit Freunden zum Skifahren war. Man war aus Salzburg, kannte die gleichen Leute und war so ins Gespräch gekommen. Vor zwei Tagen nun hatte die Journalistin ihn zu Hause angerufen und um ein Gespräch gebeten. Sie recherchiere für einen Artikel über die Salzburger Kunstszene, hatte sie gesagt, und ihn um fachkundige Unterstützung gebeten. Seine Mutter hatte ihr offenbar seine Privatnummer gegeben, und ihre Bitte, verbunden mit einer Einladung in die »Goldene Gams«, einem teuren Altstadtlokal, hatte er nur schwer ablehnen können.
Die Sonne verschwand hinter einer dunklen Wolke, und ein Schatten legte sich über den weißen Marmorbrunnen, als ein plötzlicher Windstoß über den Platz fegte. Er riss an den Markisen der Geschäfte und wirbelte den mit Pferdekot durchsetzten Sand auf. Ein einsamer Fiaker wartete vor dem Residenztor auf Kundschaft. Bosch hielt sich die Hand vors Gesicht, um sich vor der stinkenden Staubwolke zu schützen. Die beiden Fiakerpferde schüttelten sich die ersten dicken Regentropfen aus den Mähnen und scharrten unruhig mit den Hufen.
Das Restaurant befand sich im ersten Stock eines Bürgerhauses in der Getreidegasse. Das Lokal wurde mittags gern von Geschäftsleuten besucht, aber auch von Künstlern des nahen Festspielhauses. Jetzt im August waren alle Tische besetzt. Die kleinen Fenster zum Grünmarkt hinab waren weit geöffnet. Der nun heftige Regen machte die Luft angenehm frisch. Bosch hatte es gerade noch geschafft. Er blieb schwitzend an der Tür stehen und sah sich um. Ein Mann in Schwarz kam auf ihn zu und versperrte ihm den Blick in den Gastraum.
»Der Herr hat reserviert?«, fragte der Maître de Salle.
»Bitte?«
»Haben Sie reserviert?«, wiederholte der Mann höflich, aber bestimmt.
Bosch wusste, dass Tischreservierungen in der »Goldenen Gams« zur Festspielzeit schon Wochen vorher getätigt werden mussten. »Ich bin zum Essen verabredet«, sagte er etwas unsicher.
»Sehr gern.« Der Maître nickte kühl und gab einem vorbeieilenden Kellner in bodenlanger Schürze ein Zeichen. »Unter welchem Namen dürfen wir im Reservierungsbuch nachsehen?«
»Bosch ist mein Name. Ich bin mit Frau Morstein zum Essen verabredet. Um halb eins.«
Auf dem Gesicht des Maître erschien plötzlich ein freundliches Lächeln, und er winkte den jungen Kellner schnell weiter. »Herr Bosch, natürlich! Schön, Sie bei uns zu sehen. Frau Morstein erwartet Sie schon. Wenn Sie mir bitte folgen wollen?«
Katharina Morstein saß vor einem offenen Fenster, von dem man normalerweise den besten Blick auf die Kuppeln der Universitätskirche hatte, die jetzt jedoch nur schemenhaft hinter dem rauschenden Regenvorhang zu erahnen waren. Die junge Frau machte sich Notizen in einem Terminplaner, ließ ihn aber sofort in eine große Tasche zu ihren Füßen gleiten, als sie Bosch auf sich zuhumpeln sah.
Der Tisch war für zwei Personen gedeckt. Bosch nahm Platz vor einem überdimensionalen Teller, einer Batterie Besteck und vier polierten Gläsern, die den Regen im Fenster hinter ihm bläulich reflektierten. Der Kellner blieb hinter seinem Stuhl stehen.
Katharina strahlte ihn über die steifen, kunstvoll gefalteten Leinenservietten hinweg an. »Hans! Du bist wirklich ein Schatz.«
»Äh, ja … Grüß dich, Katharina.«
»Ja, ehrlich, dass du gleich gekommen bist. Ich muss sagen, deine Mutter kennt dich wirklich gut.« Sie zwinkerte ihm zu. Bosch lächelte säuerlich zurück. »Sie hat gleich gewusst, dass du mir hilfst.«
»Ach, wirklich?« Über seine Mutter wollte er lieber nichts sagen und sah sich nach dem Kellner um. Der hielt eine großformatige Speisekarte, auf deren Deckblatt eine kleine goldene Gams aufgedruckt war, machte aber keine Anstalten, sie ihm zu reichen.
»Na ja, du hast recht, kommen wir zur Sache.« Katharinas Ton wurde geschäftsmäßig. Anscheinend waren die Begrüßungsformalitäten erledigt. Sie fragte den Kellner: »Na, Rudolf, was gibt’s denn heute Gutes?«
Der Kellner trat an den Tisch und klappte mit einer vollendeten Geste die Speisekarte auf. »Unser Küchenchef empfiehlt heute die Pralinés von der Gänseleber, dazu ein Glas Spätlese. Danach ein Steinpilzcarpaccio mit Trüffel, dazu einen 1997er …«
»Sehr gut«,
Weitere Kostenlose Bücher