Salzburger Totentanz
Katharina fuhr konstant ein moderateres Tempo.
»Und willst du wissen, wo er die Madonna her hat?«, fragte Bosch schließlich. Er hatte sich über die von Lob triefenden Nachrufe auf Tappeiner geärgert. Hier war eine Gelegenheit, an der richtigen Stelle die Wahrheit zu sagen.
»Nämlich?«
»Aber keine Vollbremsung.«
Katharina lachte.
»Wüsthofen hat das gute Stück von Matteo Tappeiner.«
Sie stieß einen leisen Pfiff aus.
»Was noch nichts heißt«, setzte Bosch hinzu. »Tappeiner war schließlich Kunsthändler und kein Experte für mittelalterliche Heiligenfiguren.« Er wollte auch nicht übertreiben. Aber der Samen des Zweifels würde aufgehen, da war er ganz sicher.
Wieder sah Katharina zu ihm herüber. Ihr Gesicht leuchtete grün im Licht der Armaturen. »Ich dachte immer, der hat nur Zeitgenössisches verkauft?«
»Was weiß ich? Kunsthändler eben. Die verkaufen alles«, sagte Bosch. Er konnte nicht verhindern, dass sich ein bitterer Unterton in seine Stimme schlich.
»Schöner Handel«, meinte Katharina. »Woran erkennt man denn so eine Fälschung?«
»Gar nicht so einfach«, sagte Bosch. Er war versucht, ihr einen kleinen Fachvortrag über Imitate zu halten, beschränkte sich dann aber doch auf Wüsthofens Madonna. »Da kann es viele Anzeichen geben. Bei der Figur fehlt am Mantelsaum ein kleines Stück blauer Farbe. Dadurch ist die Kreideschicht der Grundierung zu sehen. Sie ist nicht nachgedunkelt, sondern ganz weiß. Das heißt, dass sie vor noch nicht allzu langer Zeit aufgetragen wurde. Jedenfalls nicht vor ein paar hundert Jahren.«
Katharina nickte, nahm die rechte Hand vom Lenkrad und knuffte Bosch freundschaftlich in den Oberarm. »Gute Arbeit, Kollege!«
»Pass lieber auf die Straße auf«, knurrte Bosch.
»Dass das ausgerechnet Wüsthofen passieren muss«, sagte Katharina. »Diesem alten Angeber.«
Immerhin interessierte er sich für Kunst. Bosch zog den Kopf tiefer in die Wärme seines Mantelkragens. Eine Weile war nur das leise Quietschen der Scheibenwischer zu hören, die im steten Takt über die Frontscheibe fuhren. Bosch dachte an Wüsthofens Madonna, die zwar nicht aus dem Mittelalter stammte, aber dennoch das Werk eines echten Künstlers war. Nur eben keine Pacher-Madonna. Er setzte sich auf.
»Ist da noch was, das ich wissen sollte?«, fragte Katharina in die Stille hinein.
»Ich weiß nicht …«, antwortete Bosch. Irgendwo hatte er doch erst vor Kurzem von einer Pacher-Madonna gelesen.
»Also doch. Na los, raus mit der Sprache.«
Er schaute kurz aus dem Seitenfenster in das Dunkel hinaus. Er wandte den Kopf wieder nach vorne und folgte dem Strahl der Scheinwerfer, der sich durch die Finsternis tastete. Da fiel es ihm wieder ein. »Stichwort Pacher-Madonna« hatte auf dem Prospekt gestanden.
»Na ja, vielleicht«, sagte er. »Also, vor einiger Zeit habe ich einen Zettel unter Salcheneggers Nachlass gefunden, auf dem eine Pacher-Madonna erwähnt wird.«
»Wüsthofens Fälschung?«, fragte Katharina und fuhr schneller.
»Es ging jedenfalls um eine Pacher-Madonna«, sagte Bosch. »Eine Nachricht von einem Freund.«
»Was für eine Nachricht? Na komm schon, Hans, lass dir doch nicht alles aus der Nase ziehen.«
»Keine Ahnung.« Er zuckte mit den Schultern. »Unter Salcheneggers Papieren war halt so ein Prospekt, auf den jemand diese Nachricht gekritzelt hatte. Nichts weiter.«
»Seltsam«, meinte Katharina. »Und du denkst, da gibt es einen Zusammenhang?«
Warum hatte er diesen Prospekt überhaupt erwähnt? Weil er neugierig war, gestand er sich ein. Weil er in den letzten Tagen den privaten Salchenegger kennengelernt hatte, der so ganz anders war, als der Salchenegger, den er von der Universität gekannt hatte. Besser gesagt, zu kennen gemeint hatte. »Natürlich nicht.«
»Das glaubst du doch selbst nicht, dass da nichts ist.« Sie warf Bosch einen gefährlich langen Blick zu. »Da gibt es sicher einen Zusammenhang, mein Freund! Und den werden wir herausfinden.«
Bosch lehnte den Kopf gegen die kalte Scheibe des Seitenfensters. Perlende Wassertropfen zogen im Fahrtwind ihre Bahnen. Dahinter verschwamm die Welt im Dunkel der Nacht.
»Kann ich die Nachricht mal sehen?«, fragte Katharina. Und als Bosch nicht gleich antwortete, zwickte sie ihn in den Oberschenkel. »Hallo, Herr Professor, ich hab dich was gefragt. Hast du den Prospekt noch?«
»Klar kannst du sie sehen.« Bosch zog die Ärmel über seine klammen Hände. »Warum auch nicht?«
ZEHN
Michaela
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