Salzburger Totentanz
beiden drehten sich um. Direkt hinter ihnen stand Hans.
Obwohl es helllichter Tag war, war Michaela ähnlich erschrocken wie in der Nacht, als Hans so unvermittelt auf der Terrasse ihres Elternhauses gestanden hatte.
»Hallo, Hans, da bist du ja endlich.« Sie lächelte etwas gezwungen zu ihm hinauf. Wirkte Hans nicht irgendwie misstrauisch? »Ich habe mir erlaubt, deine Zeichnungen anzuschauen. Ist ja toll! Hier – alle unversehrt.« Rasch schob sie das letzte Blatt in die Mappe und verknotete die Bänder. Dann erhob sie sich.
Hans machte einen Schritt auf sie zu und wäre fast gestolpert. Aber der junge Mann, der ebenfalls aufgestanden war, streckte geistesgegenwärtig die Hand aus und griff rasch nach seinem Ellenbogen.
»Danke«, schnaufte Hans. »Sehr freundlich.«
Er zog ein Taschentuch heraus und wischte sich damit über die schweißnasse Stirn. Der junge Mann nickte verlegen. Er öffnete den Mund, beließ es dann aber bei einem kurzen Winken in Michaelas Richtung und kehrte zu seinem Platz zurück.
In Michaelas Kopf spukten noch immer die von Hans geschaffenen Fabelwesen herum. Wenn er meinte, dass sie in seinen Sachen spioniert hatte, sollte er es nur sagen. Sie kniff den Mund zusammen und sah auf die blaue Mappe. Dann griff Hans schließlich danach und klappte sie auf.
»Der ›Letzte Tag‹«, sagte er. »Und kein Blatt fehlt.«
»Schön«, sagte Michaela. »Freut mich, dass ich dir helfen konnte. Dann werde ich mich mal auf den Weg machen.« Sie klopfte sich die Hose ab. »Also, servus dann und bis bald einmal.«
Sie mühte sich um ihn herum und war bereits die Hälfte der Böschung hochgegangen, als seine dringliche Stimme sie zurückhielt.
»Michi, warte doch!«
Michaela drehte sich um. Hans knüpfte hastig die Bänder der Zeichenmappe zu. Dann klemmte er sie sich unter den Arm und mühte sich schwer atmend den Abhang hinauf.
»Was gibt’s denn noch?«, fragte sie unwillig. Sie hatte gehofft, dass sich mit der Übergabe der Zeichnungen auch der in letzter Zeit etwas enge Kontakt zu Hans erledigt hatte. Schließlich waren sie keine Freunde. Hans war der Assistent ihres Vaters gewesen. Und Paps war tot.
»Wir könnten doch noch irgendwo einen Kaffee trinken.« Er hatte sie fast erreicht.
»Das geht leider nicht«, sagte Michaela rasch. »Ich bin auf dem Weg nach St. Peter. Das Grabkreuz ist gestern geliefert worden.«
Sie wandte sich um und sprang mit einem langen Satz auf die Uferpromenade. Ein Radfahrer in greller Sportkleidung konnte gerade noch ausweichen. Er verriss den Lenker und blickte im Weiterfahren über die Schulter zurück.
»Verdammter Trampel«, schrie er und trat in die Pedale.
Michaela zeigte ihm den erhobenen Mittelfinger. Da stand Hans schon neben ihr.
»Ich gehe mit«, sagte er. Und auf ihren überraschten Blick fügte er hinzu: »Ich war seit der Beerdigung nicht mehr am Grab deines Vaters.«
Darüber wunderte sich Michaela zwar, immerhin hatte Hans ihren Vater stets wie ein Trabant umkreist. Aber was Hans nun tat oder unterließ, war ihr im Grunde genommen gleichgültig.
»Wie du meinst«, sagte sie und wandte sich zum Gehen.
Am Kapitelplatz schaute Bosch zu dem Torbogen hinüber, an dem das Schild »Zum Peterskeller« hing. Wie oft hatte er in den vergangenen Sommern mit Salchenegger dort im Gastgarten bei einer Jause gesessen und über die Nichtigkeiten des Universitätsbetriebes geplaudert. In der Erinnerung schien ihm die Vergangenheit erfüllt von einem Frieden und einer Sorglosigkeit, die sie, so gestand er sich ein, auch damals kaum gehabt haben konnte.
Aus der Backstube der Stiftsmühle von St. Peter strömte der warme, süßliche Duft nach frischem Brot. Bosch, der jeden Samstagmorgen einen Laib dort kaufte, bekam Hunger. Er seufzte.
»Ist nicht mehr weit«, sagte Michaela.
Eine überflüssige Bemerkung, fand Bosch. Als ob er nicht wüsste, wie weit der Friedhof von der Stiftsmühle entfernt war. Auch vor Salcheneggers Beerdigung war er schon öfter auf dem Friedhof gewesen. Letztes Jahr hatte er die Abkürzung zwischen Festspielhaus und Festungsgasse genommen. Damals, es war um Allerheiligen herum, war er allein gewesen, und das Meer der im Novembernebel vor den schmiedeeisernen Kreuzen flackernden Grablichter hatte ihn sehr berührt. Vor vier Wochen war er dann in der Sommerglut mit den Honoratioren der Stadt Salcheneggers Trauerzug gefolgt.
Eine Gruppe Touristen kam ihnen die steile Festungsgasse herab entgegen. Bosch umklammerte die Mappe mit
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