Salzburger Totentanz
seinen kostbaren Zeichnungen. Zum Glück hatten sie schon das offene Tor von St. Peter erreicht. Schnell trat er hinter Michaela in die Ruhe des Friedhofs, der zwar ebenfalls zu den Anziehungspunkten der Stadt gehörte, aber nicht ganz so überlaufen war.
Langsam kam er wieder zu Atem. Er presste die Zeichenmappe vor die Brust und ließ seinen Blick über das Gräberfeld wandern, auf dem dicht an dicht schwarze Grabkreuze aus dem Boden zu wachsen schienen – es war ein stiller, schmiedeeiserner Garten. Bosch fiel Trakls Gedicht über den St.-Peter-Friedhof ein: »Ringsum ist Felseneinsamkeit, des Todes bleiche Blumen schauern, auf Gräbern, die im Dunkel trauern …«
Zwei Friedhofsbesucher gingen an ihm vorbei. Bosch lächelte sie an und machte sich auf den Weg zu Salcheneggers Grab, das am Fuße der Felswand lag. Michaela war nirgends zu sehen, wahrscheinlich war sie schon vorausgegangen.
Vor dem Eingang der Katakomben blieb er stehen. Hier hing, auf zwei Holztafeln und in zwölf Szenen gemalt, der »Salzburger Totentanz«. Nachdenklich ließ er den Blick über das Gerippe mit der Sense und die Verse in deutscher und lateinischer Sprache wandern. Die Bilder waren in Grau-in-Grau-Malerei ausgeführt. Grisaille, die Todfarbe. Auch seine Toten hatten ihr Leben in vollen Zügen genossen. Wo waren Matteo Tappeiner und Salchenegger wohl jetzt?
Michaela stand mit gefalteten Händen und gesenktem Kopf am Grab ihres Vaters.
»Tut mir leid, Michi«, sagte Bosch leise.
Sie gab keine Antwort, sondern starrte weiter auf den unkrautübersäten Erdhügel zu ihren Füßen. Das schlichte Holzkreuz, das man am Tag von Salcheneggers Beerdigung auf seinem Grab errichtet hatte, stand noch immer dort. Ein in der Hitze der letzten Wochen verdorrter Lorbeerkranz, Symbol akademischer Ehren, hing daran. Daneben türmte sich ein Berg verwelkter Kränze mit verblichenen Schleifen. Die aufgedruckten Namen ihrer Spender, all der Honoratioren und ehemaligen Weggefährten des Professors, waren kaum mehr zu lesen. Bosch zog sein Taschentuch aus der Hosentasche und wischte sich den Schweiß von der Stirn.
»Wo warst du denn?«, fragte Michaela und sprach sofort weiter, ohne seine Antwort abzuwarten. »Ist das nicht eine Frechheit? Die Rechnung für das Eisenkreuz haben sie mir schon geschickt. Und, siehst du hier irgendwo ein Eisenkreuz?«
Bosch faltete das Taschentuch zusammen und schob es ein. Er hob die Schultern.
»Gut, dass ich nachgeschaut habe«, meinte Michaela. »Na, die können was erleben.« Sie drehte sich zu Bosch. »Ich bin hier fertig. Was ist mit dir? Willst du noch beten oder so?«
Er schüttelte den Kopf. »Können wir uns noch kurz irgendwo hinsetzen? Ich möchte dir etwas zeigen.«
Sie setzten sich auf eine kleine Bank vor die Arkadenreihe mit den Grüften. Bosch zog den Oberammergauer Prospekt aus der Tasche und reichte ihn Michaela.
»Kennst du das?«, fragte er.
Sie besah sich das altmodische Titelblatt, faltete den Prospekt auseinander und schüttelte schließlich den Kopf. »Das ist ein Werbeprospekt.«
»Schau auf die Rückseite.«
Michaela drehte das Papier um und stutzte kurz, als sie die schwarzen Druckbuchstaben überflog. Sie schüttelte den Kopf und schaute Bosch an.
»Was ist das?«, fragte sie.
»Den Prospekt habe ich in dem Karton mit den Unterlagen deines Vaters gefunden«, sagte Bosch. »Du musst ihn dort hineingetan haben.«
Michaela zuckte die Schultern. »Keine Ahnung«, sagte sie. »Ich erinnere mich nicht mehr. Da war so viel Papierkram … Ich habe einfach alles in diese Kiste geworfen. Was soll das überhaupt sein?« Sie fuhr mit dem Finger über die Schrift. »Eine Geschäftsbesprechung?«
»Auf den ersten Blick …« An eine Geschäftsbesprechung hatte Bosch noch nicht gedacht. Ihm war die Sache von Anfang an nicht geheuer gewesen.
»Na eben. Wahrscheinlich hat Paps den Zettel nach der Besprechung nicht weggeworfen. Typisch für ihn.«
»Aber findest du die Nachricht … den Ton der Nachricht nicht seltsam?« Bosch nahm ihr den Prospekt aus der Hand und las vor: »›Hallo Professor! Kommen Sie am Freitag, den vierzehnten Juli, um 19.30 ins Müllner Bräu. … kleine Geschäftsunterredung … Stichwort: Pacher-Madonna … es soll doch noch nichts an die Öffentlichkeit.‹« Er ließ den Prospekt sinken. »›Ein Freund.‹ Findest du, dass das nach einer normalen Besprechung klingt?«
Michaela zuckte die Schultern. »Keine Ahnung.«
»Warum sollte jemand deinem Vater so eine
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