Salzburger Totentanz
vom Wind gegen ihre Wange zu wehen. In der rechten Hand hielt sie einen Apfel, mit dem linken Arm umfasste sie das Kind, das auf ihrem Schoß saß und das Händchen nach der Frucht ausstreckte. Langsam ging Bosch auf die Figur zu. Das Lächeln in dem runden Gesicht der Madonna schien sich zu verstärken.
»Dachte ich mir, dass ich Sie hier finde.«
Erschrocken fuhr Bosch herum. Wegen des weichen Teppichs hatte er Wüsthofen nicht kommen hören. Er stand dicht hinter ihm, und Bosch begegnete seinen wachen grauen Augen. Wüsthofens Blick glitt zwischen der Madonna und Bosch hin und her.
»Das ist eines meiner besten Stücke«, sagte er.
»Das glaube ich.« Bosch betrachtete die Figur.
»Na ja, hat auch eine schöne Stange Geld gekostet.«
Bosch kniff prüfend die Augen zusammen. Irgendwie kam ihm die Madonna bekannt vor. Ihr rechter kleiner Finger war ein wenig abgespreizt und bildete doch mit der ganzen Hand ein perfektes Oval. Ein Detail, das ihn an die Handskizzen von Dürer erinnerte. Hatte er diese Figur nicht schon einmal in einem Fachbuch gesehen?
»Auf den ersten Blick eine Südtiroler Arbeit«, sagte er. »Könnte sogar von Michael Pacher stammen. Bestimmt sehr selten. Darf ich fragen, woher Sie sie haben?«
Wüsthofen lachte. »Ausgezeichnet! Die ist tatsächlich von Pacher. Und Matteo hat sie mir verschafft«, sagte er. »Wir waren ja gute Freunde, sonst wäre ich nie dazu gekommen.«
»Tappeiner?«, fragte Bosch überrascht.
Wüsthofen nickte lächelnd.
»Aber der macht doch Zeitgenössisches …«
Der Hausherr zuckte die Achseln. »Keine Ahnung, über welche Kanäle er das gute Stück ergattert hat. Aber das wollen wir ja auch gar nicht so genau wissen, was? Wo kein Kläger, da kein Richter, sage ich immer. Schauen Sie mal.« Mit zwei Schritten war er bei einem der Fenster und griff hinter den Vorhang. Gleich darauf leuchteten mehrere kleine Lampen im Mauerbogen auf und ließen die kräftigen Farben der bunten Figur erstrahlen.
»Wunderschön«, sagte Bosch.
Aufmerksam ließ er seinen Blick über den schleierbedeckten Kopf, über das liebliche Gesicht und die schmalen Schultern bis hinab zum Mantelsaum wandern. Eine dünne Patinaschicht hatte sich im Lauf der Jahrhunderte auf die Figur gelegt, Staub und Ruß aus der Kirche, die die Heiligenfigur einst beherbergt hatte. Auch auf der Unterseite der schweren Mantelfalten und unter dem Kinn des Kindes hatte sich die klebrige Masse angesammelt. Und auf den Händen, die das Kind hielten.
Ja, es waren die Hände, die ihm so bekannt vorkamen. Diese natürliche, fast beiläufige Haltung, voll und doch grazil, die dünnen, spitz zulaufenden Finger. Wo hatte er diese anmutigen Hände nur schon gesehen? Es wollte ihm beim besten Willen nicht einfallen. Bosch griff nach der Figur und nahm sie von ihrem Sockel. Schwer wog sie in seiner Hand, eigentlich zu schwer. Im Laufe der Jahrhunderte müsste sie einiges an Gewicht verloren haben. An einer Stelle war ein winziges Stück der blauen Mantelfassung abgesplittert, darunter leuchtete ihm die Kreideschicht der Grundierung weiß entgegen.
Wüsthofen räusperte sich. Rasch stellte Bosch die Madonna an ihren Platz zurück und schob die Hände in die Hosentaschen, als wollte er ihr Eigenleben unterbinden.
»Na?«
»Wirklich außergewöhnlich«, sagte Bosch. Die weiße Grundierung hatte ihm endgültig verraten, dass diese Madonna keineswegs von Michael Pacher, geschweige denn aus dem Mittelalter stammte. Trotzdem war sie zweifellos ein Kunstwerk, und ihre Schönheit berührte ihn.
Wüsthofen nickte zufrieden. Ein stolzes Lächeln spielte um seinen Mund, als er die Lampen löschte. Die Madonna versank wieder im Halbdunkel, und Wüsthofen schlug Bosch mit der Hand auf die Schulter. »Kommen Sie, Doktor, die anderen sind noch beschäftigt mit diesem Story-Quatsch. Da bleibt uns ein wenig Zeit zum Plaudern und Fachsimpeln.«
Bosch folgte Wüsthofen aus der Bibliothek in den Gang hinaus. In der Halle konnte er Katharina hören, die dem Fotografen befahl, mit seinem ganzen Kram in die Küche zu wechseln, und dann Sabine Wüsthofen bat, sich für die Rezeptfotos eine Schürze umzubinden. Im Kaminzimmer war der Kaffeetisch inzwischen abgedeckt worden, und das Feuer im Kamin war fast heruntergebrannt. Auch der Jagdhund war nicht mehr da.
Bosch war allerdings immer noch ziemlich aufgewühlt von dem, was er gerade gesehen hatte. Wenn Wüsthofen die Madonna als Original gekauft hatte, war er um eine Menge Geld
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