Salzburger Totentanz
schmiedeeisernen Kreuzen.
ELF
Die Straße wand sich in engen Kurven den Gaisberg hinauf. Das Laub der Bäume, das sich sacht in einer leichten Brise wiegte, warf Schatten auf den an vielen Stellen geflickten Asphalt. Bosch, den die Waden vom ungewohnten Aufstieg schon schmerzten, mühte sich bergan. Immer wieder blieb er stehen, nahm die Brille ab und rieb sich die von der Sonne und der Schreibtischarbeit gereizten Augen, ehe er seine Wanderung fortsetzte.
Den ganzen Tag hatte er mit Vorbereitungen für das Wintersemester verbracht, eine Arbeit, von der er nur hoffen konnte, dass sie nicht vergebens war und die Zustimmung von Salcheneggers Nachfolger finden würde. Manchmal hasste er diesen ganzen Unibetrieb, die starren Hierarchien, die akademischen Eitelkeiten und die endlosen Schlangen von immer neuen Studenten. Er fragte sich, ob er wohl immer noch am Institut wäre, wenn es damals anders gekommen wäre. Denn seine Habilitation hatte er ja erst nach der Sache mit Tappeiner eingereicht.
Bosch sah auf die Uhr. Franz zuliebe tat er sich diesen Aufstieg sicher nicht an. Er sollte die leidige Sache endlich auf sich beruhen lassen und Franz für immer aus seinem Leben streichen. Doch Franz Schwarzenberger war nun mal Boschs hartnäckigster Dämon, dieser Künstler, dem die Anerkennung scheinbar nur so zuflog. Der Studienkollege, mit dem er Seite an Seite dem Ruhm nachgejagt war, damals an der Uni und später, als beide mit ersten kleinen Ausstellungen ein wenig Aufmerksamkeit erregten. Damals, als es noch so ausgesehen hatte, als würde nicht Franz, sondern er, Hans Bosch, dieses Rennen gewinnen. Aber dann war Tappeiner gekommen und Franz als strahlender Sieger durchs Ziel gegangen. Eine Ausstellung war der anderen gefolgt, jede größer und bedeutender als die vorhergehende, und zu allen hatte Bosch eine Einladung erhalten. Nicht von Franz persönlich, sondern von seiner Galerie. Am Anfang hatte er die Kuverts noch geöffnet, dann liegen gelassen und später überhaupt gleich mit dem Altpapier entsorgt.
Franz’ letztem Bilderzyklus, der »Passion Christi«, war sogar ein eigener Raum im Museum der Moderne gewidmet. Dort hatte sich alles sehen lassen, was Rang und Namen hatte, und die Kunstzeitschriften hatten sich vor Begeisterung überschlagen und die »Spiritualität« des Künstlers gerühmt. Schon zu Studienzeiten hatte Franz jeder Kirche, an der er vorbeikam, einen Besuch abstatten müssen. Natürlich war auch Bosch eine Einladung zur Vernissage im Museum zugegangen. Er hatte sich aber nicht überwinden können, auf den Mönchsberg zu fahren.
Als Bosch wieder stehen blieb, um seine Brille abzunehmen und sich mit seinem Taschentuch den Schweiß von der Stirn zu wischen, hörte er das Motorengeräusch eines Autos, das die Bergstraße heraufkam. Sicherheitshalber beschloss er zu warten, bis das Auto vorüber war, und trat an den Straßenrand.
Da bewegte sich etwas im Laub, direkt neben seinen Füßen. Bosch kniff die Augen zusammen, um im grellen Sonnenlicht besser sehen zu können. Dann erstarrte er. Zwischen einem welken Ahornblatt und einem moosigen Stein, ringelte sich der dunkle Leib einer Schlange.
Er machte einen Satz zur Seite. Von Kreuzottern hatte er bisher nur gelesen, gesehen hatte er sein Lebtag noch keine.
Erschreckt durch die plötzliche Erschütterung zog die Schlange ihren Kopf zurück und verharrte in einer perfekten S-Form. Langsam steckte Bosch das Taschentuch in die Hosentasche zurück. Dann holte er mit dem Fuß aus und kickte das Tier mitten auf die Fahrbahn. Durch den Aufschlag auf dem harten Asphalt krümmte sich die Schlange für einen Moment zusammen. Dann entrollte sie sich wieder und blieb regungslos liegen.
Die grüne Kühlerhaube eines Geländewagens schob sich um die Kurve. Nur Sekunden trennten das Auto noch von dem Reptil. Ohne seine Geschwindigkeit zu verringern, fuhr der schwere Wagen an Bosch vorüber. Die Bremslichter leuchteten auf, der Wagen bremste abrupt ab, doch es war zu spät. Die Schwanzspitze der Schlange schaute erst für einen Augenblick unter dem Vorderreifen hervor, dann überrollte auch der Hinterreifen das Tier. Das Auto blieb stehen. Die Schlange zuckte auf dem Asphalt. Ein hagerer Mann, das Gesicht halb verdeckt von einem in die Stirn gezogenen grünen Hut, beugte sich aus dem offenen Seitenfenster. Vor seiner Brust hing ein Fernglas. Ein Jäger, nahm Bosch an. Der Mann warf einen kurzen Blick auf die Straße, dann stieß er einen lauten Fluch
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