Salzburger Totentanz
Studierenden.«
Die Morstein hob das Kinn. Der Mann im blauen Anzug räusperte sich und trat näher.
Hans hob die Hand und ließ sich mit einem Stöhnen in seinen Schreibtischsessel fallen. Dann nahm er die Brille ab und fuhr sich über die Augen. Michaela schluckte. Müsste sie jetzt nicht das Wort ergreifen und etwas Entschuldigendes über Achilles sagen? Aber alle Anwesenden schienen sich auf Hans zu konzentrieren. Sie beschloss, erst einmal abzuwarten.
»Also, Hans«, sagte die Morstein, »wir müssen reden.« Sie deutete mit dem Daumen auf die Sekretärin. »Unter vier Augen.«
Frau Happel schnaufte nur.
Michaela hob wie in der Schule die Hand. »Ich muss dich auch unbedingt sprechen, Hans.«
»Und ich ebenfalls, dottore «, sagte der Mann im blauen Anzug.
»Genau«, sagte Frau Happel. » Professore, darf ich Ihnen Doktor Bosch vorstellen. Er kümmert sich um alle Angelegenheiten unseres Herrn Professor selig. Herr Doktor, dies ist Professor De Luca. Er ist heute Morgen extra aus Bozen angereist. Der Professor muss dringend mit Ihnen reden.«
Hans nickte dem Kollegen aus Italien zu. Michaela hatte den Mann noch nie gesehen. Aber vielleicht hatte er mit Paps zusammengearbeitet.
»Natürlich.« Er deutete in Richtung des freien Sessels neben Michaela. »Bitte.«
Professor De Luca setzte sich und stellte den eingewickelten Gegenstand auf seine Knie.
»Dottore …«
»Moment mal«, unterbrach ihn die Morstein. »Auf meinem Schreibtisch liegt die Seite für morgen, und um halb sieben ist Redaktionsschluss – mir pressiert’s. Also, Hans, hör mir gefälligst zu.«
Professor De Luca umfasste sein Paket fester, während Hans seine Brille wieder aufsetzte.
»Katharina …«
»Jetzt«, sagte sie und machte eine Kopfbewegung zum Gang. »Und unter vier Augen.«
Frau Happel verließ mit energisch klappernden Absätzen das Büro. Hinter ihr fiel die Tür krachend ins Schloss. Achilles hob kurz den Kopf von den Pfoten und brummte, dann döste er weiter auf dem glänzenden Parkett.
Hans stand auf. »Lass uns in den Seminarraum nebenan gehen.« Achilles machte die Augen auf und spitzte die Ohren. Hans zögerte, dann stützte er die Hände auf die Schreibtischplatte und sagte: »Oder wir bleiben einfach hier. Die anderen muss ich leider bitten, kurz draußen zu warten.«
Der Mann im Sessel neben Michaela würdigte sie keines Blickes. Er machte auch keine Anstalten, Hans’ Bitte zu folgen, sondern lehnte sich in seinem Sessel zurück und schob das Paket auf seinen Knien weiter nach vorne. Hatte er nicht mitbekommen, was vor ein paar Minuten passiert war? Ein heftiger Luftzug fuhr durch das Fenster und wirbelte die Vorhänge in den Raum. Die weiße Wolke draußen am Himmel war verschwunden und hatte einem mächtigen graugelben Wolkengebilde Platz gemacht, das über der stumpfen Domkuppel hing.
»Dottore« , sagte Professor De Luca. »Ich bin heute aus Italien gekommen. Gerade habe ich erfahren, dass mein Freund Salchenegger gestorben ist. Ich muss mit Ihnen reden. Jetzt.«
FÜNFZEHN
Katharina Morstein warf einen Blick auf die kleine Patek Philippe an ihrem Handgelenk, während sie den Gang im dritten Stock des Unfallkrankenhauses entlanghastete. Schon fast drei Uhr.
Zum Glück berichtete ihr der behandelnde Arzt ohne zeitraubende Bedenken über den Zustand seines Patienten. Wieder einmal hatten sich Katharinas gute Beziehungen bezahlt gemacht. Eine kurze Frage zur Schwangerschaft seiner Assistentin hatte genügt, um Dr. Guggenbergers Hilfsbereitschaft wachzurufen. Tja, die Ehefrauen erfuhren ja vieles als Letzte. Aber natürlich war es Katharina auch lieber, wenn nicht gerade sie die Überbringerin der Hiobsbotschaft war. Primar Guggenberger war der breiten Öffentlichkeit weniger durch sein ärztliches Wirken, als durch seine ständige Präsenz in der Klatschpresse bekannt. Katharina könnte ihrem Ruf als Society-Hyäne gerecht werden und dafür sorgen, dass die Guggenbergers gar nicht mehr aus den Schlagzeilen herauskamen. Dr. Guggenberger hatte ihr sofort gesagt, wo sie den jungen Mann finden konnte, der nur eine angesprengte Rippe von dem Sturz davongetragen hatte.
Katharina lächelte einer älteren Schwester zu, die ihr mit einem Tablett voller Medikamentenschachteln entgegenkam. Dann hatte sie das Zimmer Nummer 317 erreicht. Auf einem kleinen Schild stand der Name des Patienten: »Michalek, Sebastian«. Hoffentlich täuschte sie sich nicht. Aber so häufig war der Name Michalek in Oberammergau
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