Salzburger Totentanz
dem Prospekt Luft zu. Vertrau auf deinen Instinkt, hatte ihr noch als unerfahrener Volontärin ein alter Hase aus der Zunft eingeschärft, ohne Instinkt geht’s in unserem Geschäft nicht. Und diesen Ratschlag hatte sie seither immer beherzigt. Seit Wochen hatte sie das Gefühl, als ginge sie über unebenen Boden. Immer hatte sie den Sumpf darunter gewittert. Und nun begann er endlich aufzutauchen, sodass sie ihn trockenlegen und den verdienten Schatz bergen konnte. Und zwar mit Hilfe dieses dicken Dummerchens im Krankenbett vor ihr.
Schweißtropfen bildeten sich an Sebastians Haaransatz. Katharina ließ ihm Zeit und wartete auf eine Antwort. Doch der junge Mann schien zu keiner weiteren Äußerung bereit.
»Na gut. Dann zeige ich Ihnen noch was anderes.« Sie zog Boschs Zeichnung der Madonna aus der Tasche und hielt sie Sebastian direkt vor die Nase. Ungeschickt griff er nach dem Blatt. Eine Weile betrachtete er das Bild der Mutter mit dem Kind.
»Wo haben Sie diese Zeichnung her?«, brummte er.
»Kennen Sie die Madonna?«
Sebastians Hand zitterte ein wenig. Rasch ließ er sie auf die Bettdecke sinken. »Nein«, sagte er. »Warum sollte ich?«
»Möchten Sie wirklich nichts dazu sagen?«
»Nein.« Er gab ihr die Zeichnung zurück. »Was wollen Sie überhaupt von mir?«
»Na ja. Natürlich eine gute Story. Und wenn’s geht, die Geschichte dieser Madonna.«
Sebastian murmelte ein paar Worte, die Katharina nicht verstand.
Sie beugte sich vor. »Was meinen Sie?«
Er wandte ihr sein teigiges Gesicht zu. Inzwischen war es von kaltem Schweiß bedeckt. »Gehen Sie, oder ich rufe die Schwester.«
»Das werden Sie nicht tun«, antwortete Katharina. Wollte dieses Kind ihr etwa drohen? Dann musste sie den Druck erhöhen.
Sebastians Mundwinkel zogen sich nach unten. »Wüsste nicht, was mich davon abhalten sollte.«
Katharina lehnte sich zurück und betrachtete das Blatt in ihren Händen. Hans Bosch war wirklich ein begnadeter Zeichner. »Vielleicht die Polizei?«, sagte sie leise.
»Die Polizei?!«
Katharina nickte.
»Ja, aber … warum denn?«
Sie zuckte die Schultern. »Vielleicht wegen des Mordes an Professor Salchenegger?« Hoffentlich kapierte der Junge, dass sie ihm gerade ein Angebot machte, das er nicht abschlagen konnte. Sagte man nicht so bei der Mafia? Die Sache begann, ihr Spaß zu machen. »Sie waren doch auch bei diesem Schwammerlsuchen dabei, oder?« Die Farbe im Gesicht des Jungen verschwand langsam wieder. »Außerdem ist Professor Salchenegger vor seinem Tod wegen einer gefälschten Pacher-Madonna erpresst worden.« Sie hielt die Zeichnung und den Prospekt hoch. »Alles Zufall?«
In diesem Moment ging die Tür auf, und eine junge Krankenschwester kam herein. In der Hand trug sie ein kleines Tablett, auf dem eine Henkeltasse und eine Warmhaltekanne standen. Katharina drehte die Zeichnung nach unten. Ausgerechnet jetzt musste die erscheinen, wo ihr Gespräch konstruktiv wurde.
»Ihr Tee, Herr Michalek.« Die Schwester setzte das Tablett auf dem Nachttischchen ab. »Ich weiß aber nicht, ob Sie heute schon Besuch haben dürfen. Ist das mit dem Herrn Doktor so abgesprochen?«
»Nur meine, äh … Tante«, sagte Sebastian schnell.
Kusine hätte Katharina zwar passender gefunden, dennoch schlug sie zufrieden ein Bein über das andere. Immerhin hatte er sie nicht verraten. Ein gutes Zeichen. Das Angebot der Schwester, eine zweite Tasse für den Hagebuttentee zu holen, lehnte sie dankend ab.
»Also?«, fragte sie, kaum war die Schwester aus dem Zimmer.
Sebastian rollte mechanisch eine Ecke der Bettdecke ein und wieder auf. »Ich hab doch gar nichts getan«, sagte er.
»Na, dann können Sie ja alles erzählen.«
Er riss am Eck der Bettdecke herum.
»Hören Sie«, sagte Katharina. »Ich bin Reporterin. Mich interessiert nur die Story. Und nicht Sie. Schon gar nicht, wenn Sie nichts getan haben.«
Sebastian schwieg eine Weile. Dann sagte er: »Ich kenne die Madonna«, sagte er. »Und den Prospekt … kenne ich auch.«
»Na, da schau her.« Katharina griff nach der Plastikkanne. »Tee?«
»Aber mit dem Mord hab ich nichts zu tun.« Katharina konnte sich täuschen, doch in seinen Augen schienen Tränen zu glitzern. »Glauben Sie mir doch …«
Eine Wolke schal riechenden Dampfes stieg aus der Kanne auf. Auf der Henkeltasse war ein koboldhafter Mozart abgebildet, der auf einem Bein hüpfte. »Salzburg – feel the inspiration« stand darunter. Sie goss die Tasse voll und schob sie Sebastian
Weitere Kostenlose Bücher