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Salzige Küsse

Salzige Küsse

Titel: Salzige Küsse Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tine Bergen
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Seit sie hier lebte, hatte Lies immer mehr Eileens Platz eingenommen, und sie wusste nicht, was sie davon halten sollte. Sie hatte Eileen noch zweimal angerufen, aber die Gespräche waren schleppend gewesen. Und als sie Eileen beim letzten Telefonat vorgeschlagen hatte zum Ertrunkenen Land zu fahren, war die nicht mal darauf eingegangen.

Ich schlich mich nicht durch die Tage, die Tage glitten durch mich hindurch. Ich wurde so bleich und dünn, dass es sie auf Dauer kaum noch Mühe kostete. In einer einzigen fließenden Bewegung konnten sie mich durchströmen. Aus Tagen wurden Wochen
.
    In der Woche nach dem Begräbnis hörte ich morgens Lärm im Garten. Ich wachte nicht davon auf, denn ich hatte nicht geschlafen. Doch auch ohne Schlaf brachten mir die Nächte Ruhe. Schon allein deshalb, weil ich nicht ständig all den fragenden, gequälten und mitleidigen Blicken ausweichen musste
.
    Ich ging zum Fenster. Drei Arbeiter aus der Gegend waren eifrig dabei, den Graben zuzuschütten. Sie arbeiteten so zügig, als wäre der Teufel hinter ihnen her. Aber es war Papa, der sie nicht aus den Augen ließ, und das war noch viel schlimmer
.
    Gemeinsam mit Papa sah ich zu, wie der Graben Schaufel für Schaufel schmaler und niedriger wurde. Ich hatte Juul nicht in seinen Sarg verschwinden sehen und auch nicht in der Erde. Aber jetzt fühlte es sich an, als würde jede Schaufelladung geradewegs auf seinen kleinen Leib prasseln. Ich spürte die Erdbrocken auf meinem eigenen Körper
.
    Die Tränen liefen mir über die Wangen und ich sah, dass es Papa nicht besser erging. Aber wir trösteten einander nicht, blickten uns nicht an. Wir waren durch ein Fenster und einen gähnenden Abgrund aus Trauer getrennt, der nie mehr geschlossen werden konnte, auch wenn Papa es noch so sehr versuchte
.
    Die Männer stampften die Erde fest, sprangen darauf herum, bewegten sich wild. Es dröhnte bis zu mir nach oben. Sie legten einen schweren Deckel auf unseren Kummer. Als würde er in einen Topf gesteckt, in dem er schmoren konnte, warm blieb, langsam weitergarte
.
    Draußen war Krieg, aber das bemerkten wir nicht einmal, so sehr waren wir in unseren eigenen Krieg verwickelt. Und auch hier schien ein Friedensvertrag nicht im Geringsten erwünscht
.
    Mama und Papa richteten im Wohnzimmer einen Altar für Juul ein. Dort standen Fotos, Kerzen, Blumen. In den seltenen Augenblicken, wenn niemand in der Nähe war, setzte ich mich manchmal dort hin. Ich starrte auf die Fotos, roch an den Blumen, schaute in das Licht der flackernden Kerzen. Genauso wie ich bei Tisch meinen Eltern zusah, wie sie langsam zwei Löffel Suppe aßen und dann den Teller wegschoben
.
    Ich wollte sagen, dass Juul den Duft von frischem Gras liebte, das Geräusch der springenden Fische im Bach, geschmolzene Schokolade über Vanillepudding. Juul wollte den Wind in den Haaren spüren
.
    Er hätte sich hier drinnen eingesperrt gefühlt, wäre weggelaufen vor den gruseligen Fotos, dem flackernden Kerzenlicht und den unruhigen Schatten an der Wand. Aber ich schwieg. Niemand hatte mich gefragt und ich wusste, dass ich auch nicht gefragt war. Mama saß jeden Tag vor dem Altar und erzählte Juul tausend Sachen. Zu mir sagte sie nichts mehr. Und ich traute mich nicht. Was sollte ich auch sagen? Wie konnte ich wiedergutmachen, was unmöglich wiedergutzumachen war?

»Mam, kann ich heute Abend bei Lies übernachten?«
    Mama schaute von ihrem Kartoffelpüree auf. »Warum?«
    »Nur so, weil sie mich gefragt hat und weil ich Lust dazu habe.« Eve stocherte in ihrem Essen herum. Nun hatte sie schon mal die Gelegenheit, der üblen Stimmung hier zu entfliehen, und jetzt stellte sich ihre Mutter so quer.
    »Dann könnt ihr endlich wieder stundenlang über die Fotos quatschen.«
    Eve ignorierte ihren Bruder, aber Mama nicht. »Wie meinst du das, Max?«
    »Damit sind sie doch schon seit Wochen zugange, mit den Fotos von der Frau, die sie im Haus gefunden haben. Dabei durften wir nichts behalten. Bestimmt denken sie, dass der Geist dieser Frau hier rumschwirrt.«
    »Was für ein Schwachsinn!«, erwiderte Eve bockig. »Seit wann interessiert dich eigentlich, was ich mache?«
    »Du hast da eine ganze Ladung Briefe, die ich langsam auch mal lesen will.«
    »Was für Briefe?« Auch Papas Interesse war jetzt geweckt.
    »Es sind Liebesbriefe«, antwortete Eve. »Ihr würdet doch nur darüber lachen.«
    »Und wenn schon.« Max gab nicht auf.
    »Und wenn schon? Das ist total unnötig.«
    »Wir haben sie zusammen

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