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Salzige Küsse

Salzige Küsse

Titel: Salzige Küsse Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tine Bergen
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war, sie an ihr Versprechen zu erinnern.«
    Max zuckte mit den Schultern. »Sie erinnern uns doch auch ständig an unsere.«
    Eve schwieg. Sie spreizte ihre verkrampften Finger und trank den letzten Rest Limonade aus.
    »Was ist eigentlich mit den Briefen, die wir letztens gefunden haben?«
    »Was soll damit sein?«
    »Na ja, was steht drin? Das wolltest du mir doch erzählen.«
    »Nichts Wichtiges.«
    »Du findest es also sehr wichtig. So wichtig, dass ich es nicht wissen darf. Nett von dir!«
    Eve rutschte hin und her. »Es sind Liebesbriefe.«
    »Und warum darf ich keine Liebesbriefe lesen? Vielleicht kann ich ja was daraus lernen.«
    »Würdest du sie ernst nehmen?«
    »Muss ich das?«
    »Ich finde schon.«
    »Es waren so viele Briefe. Da muss doch auch noch was anderes drinstehen?«
    »Du kannst mir ruhig glauben, es sind wirklich alles nur Liebesbriefe.«
    »Hebst du sie vielleicht auf, weil du selbst keine kriegst?«
    »Was hat das denn damit zu tun?«
    »Kann doch sein?«
    »Wir sollten mal lieber weitermachen.« Schwungvoll schob Eve ihren Stuhl zurück. Noch zwei Zimmer und sie hatten alle Tapeten abgelöst. Mit Eimern und Schwämmen bewaffnet gingen sie wieder nach oben.
    »Welches zuerst?«
    »Mein Zimmer«, erwiderte Eve. Irgendwo darin musste sich doch noch mehr verbergen.
    »Meinetwegen.« Max trottete durch den Flur hinter ihr her. Automatisch wich Eve den Wasserspritzern aus. »Das ist nicht witzig, Max!«
    »War ja nur ein Versuch.«

Das Begräbnis zog wie im Rausch an mir vorbei. Die weinenden Menschen, die schwarzen Kleider, der süßlich-schwere Geruch von zu viel Weihrauch, der mir Übelkeit bereitete. Der Priester schwenkte damit in meine Richtung, als wollte er den Teufel austreiben. Gern hätte ich ihn darauf hingewiesen, dass er sich lieber dem kleinen, kahlen Sarg zuwenden sollte, aber ich traute mich nicht. Vielleicht wollte er das ja wirklich, den Teufel austreiben
.
    Die bohrenden Blicke, das leise Geflüster und Mamas kalte, reservierte Haltung stachen wie Nadeln durch meinen Rausch. Mama hatte kein Wort mehr mit mir gesprochen. Und Papa. Papa hatte seinen Sohn verloren, seinen Herzensbrecher, seinen Stammhalter, sein ein und alles. Wie gern ich auch vor alldem fortgelaufen wäre, es ging nicht. Es würde nie wieder gut werden
.
    Also starrte ich auf den kleinen Sarg, wandte den Blick keine Sekunde von ihm. Irgendetwas musste ich doch tun? Ich glaubte nicht, dass Juul jeden Moment den Deckel hochheben würde, ich hoffte es nicht einmal. Nichts war von Juul geblieben. Jetzt erst drang es richtig zu mir durch. Er war nicht mehr hier. Wir hatten ihn verloren. Für immer verloren. Wie viel Reue konnte das aufwiegen? Er war der ersteTote, den ich in meinem Leben gesehen hatte. Ein Tod, den ich selbst verursacht hatte
.
    Wie ging man damit um? Es gab keine Gebrauchsanweisung dafür. Ich verstand meine Eltern, die Nachbarn, die Klatschtanten. Ich verstand sie allesamt. Aber gab es auch jemanden, der mich verstand? Der es wenigstens versuchte, nur einen kleinen Moment?
    Verurteilen war einfacher als verstehen
.
    Ich dachte an Josef, der aus irgendeinem seltsamen Grund gemeinsam mit dem Dorfarzt zu uns herbeigeeilt war. Er war der Erste gewesen, der mich beachtet hatte. Er hatte den Brief gesehen, den ich mit den Händen umklammert hielt, Juul, der auf dem Tisch lag, Mama, die nicht aufhörte zu weinen
.
    Josef hatte das gesamte Bild mit seinen Fotografenaugen sofort erfasst. Aber selbst sein Blick hatte sich nach einigen Sekunden verhärtet. Nach einem Glas Wasser und einem Schulterklopfen hatte er sich von mir abgewandt. Sogar er traute sich nicht auf den Knopf zu drücken, um das Bild festzuhalten. Niemand wollte dieses Bild festhalten. Und doch tauchte es immer wieder in meinen Gedanken auf
.
    Ich ging in der langen Schlange hinter dem Sarg her, ignorierte die Schultern, die mich zufällig streiften, die Menschen, die sich vorzudrängeln versuchten
.
    »Sie müsste ganz hinten gehen«, zischte jemand. Ich schaute mich um. Mireille, die immer eifersüchtig auf Lukas und mich gewesen war, warf mir einen triumphierenden Blick zu
.
    Wie traurig war es, dass Mireille hier nicht wegen Juul stand, sondern meinetwegen. Nicht aus Trauer, sondern aus Rache. Wie viele Menschen waren nicht wegen Juul, sondern meinetwegen gekommen? War Sensationsgier denn so viel stärker als Mitleid? Würde keiner von ihnen verstehen, dass es ebensogut ihnen hätte widerfahren können?Oder standen sie genau deshalb

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