Salzige Küsse
fertig.«
»Warum versteht ihr uns Frauen nie?« Mit einer weit ausholenden Bewegung zog Eve eine Tiertapetenbahn herunter und ging damit zur Abfalltüte. Sie sah den lachenden blonden Jungen von dem Foto wieder vor sich. Vielleicht war das ja mal sein Zimmer gewesen?
»He, du Träumerin!«
»Ich komm ja schon.« Eve stellte sich vor die Wand, kehrte dann aber sofort wieder um. Sie kramte in der Mülltüte, bis sie die vorigen Tapetenbahnen fand. Kitschige Blumen. Überhaupt nichts für ein Kinderzimmer, geschweige denn für einen Jungen. Wieso war das Kind, das hier geschlafen hatte, nicht in seinem Zimmer geblieben? Vielleicht hatte er ein anderes gewollt? Auswahl genug gab es, keine Frage. Oder hatte er vielleicht weggemusst?
Eve fühlte sich plötzlich unbehaglich. Dieses Zimmer war wunderschön, ein richtiges Jungenzimmer. Max und Fré hatten sich gestritten, weil sie es beide haben wollten. Schließlich hatten sie darum geknobelt, weil Mama gedroht hatte, dass sonst keiner von beiden das Zimmer bekäme. Das wollten sie auch nicht. Der Baum, der unter dem Fenster stand, lud einfach zum Reinklettern ein und der Ausblick war großartig.
Mit einem Ruck stopfte Eve das Papier in die Tüte. Bahn für Bahn riss sie von der Wand. Mit einem Mal ging es recht zügig voran, sogar Frederik bemerkte das. Eve wollte es herausfinden. Sie wollte wissen, was sich ganz unten befand, unter all den Schichten.
Als die kahle, weiße Wand sie endlich anstarrte, fühlte Eve sich nur leer und mindestens ebenso kahl. Nichts. Nichts, das ihr etwas darüber verriet, wer hier gelebt hatte.
Kaum war das Zimmer fertig, ging Eve mit Schwamm und Eimer in ihr Zimmer. Sie weichte die Tapete in einer Ecke ein, in der sie bereits ein wenig eingerissen war, und zog, bis sich das Papier Schicht für Schicht löste. Die Tapete war häufig nur überstrichen worden und Eve brauchte nicht so viele Schichten abzupellen.
Schließlich blieb eine lavendelfarbene Tapete mit kleinen Streublümchen übrig. Eve starrte zu dem Porträt an der Wand. Vielleicht hatte Belle hier früher geschlafen? Vielleicht gehörte dieses Zimmer der Frau auf dem Foto?
Eve schüttelte sich und kroch unter ihre Bettdecke, die Arme um sich geschlungen. Plötzlich sehnte sie sich nach einer festen Umarmung. Aber Jacob war nicht in der Nähe und die Frau auf dem Foto weigerte sich beharrlich aus ihrem Rahmen zu steigen.
»Unerhört!« Papa raschelte grimmig mit seinen Papieren, als er ins Zimmer kam. »Ihr werdet es nicht glauben, aber die Architekten meinen, dass es besser wäre, wenn wir hinterm Haus einen Graben anlegen. Dann kann das Schmutzwasser abfließen, denn bis hier Kanalisation angelegt wird, sind wir längst alt, wenn nicht sogar tot.«
»Und wo liegt das Problem?« Eve sah von der Kekspackung auf, die sie gerade allein leer futterte.
Gedankenverloren griff Papa auch in die Packung, obwohl er keine Butterkekse mochte. »Also bin ich zur Gemeinde gegangen, denn für so einen Graben braucht man natürlich eine Genehmigung. Ohne die läuft gar nichts. Und weißt du, was die Frau beim Amt zu mir sagt? Das geht nicht! Wir müssten einfach auf die Kanalisation warten, die Bauarbeiten dafür würden bestimmt bald beginnen.« Angeekelt legte Papa den Butterkeks nach einem Bissen wieder auf den Tisch. Er schluckte einmal und tobte weiter.
»Ich frag sie, was ich bitteschön bis dahin mit meinem Abwasser machen soll. Aber das war dann plötzlich mein Problem.«
Papa fuhr sich ein paar Mal aufgebracht durch die Haare, die in alle Richtungen abstanden. Es sah witzig aus, aber Eve hütete sich ein Wort darüber zu verlieren.
Sie beugte sich gemeinsam mit Max über die Pläne, die Papa gerade auf den Tisch geschmissen hatte. »Wo müsste der Graben denn hin?«
Papa zeigte auf die Längsseite des Gartens.
»Meinst du, sie merken es, wenn wir das einfach machen? Es ist doch unser Grundstück?«
»Jetzt, nachdem ich gefragt habe, werden sie es ganz bestimmt merken.« Mit ruckartigen Bewegungen löste Papa seinen Schlips. »Und das Schlimmste ist, dass hier früher sogar ein Graben war. Gott weiß, warum sie den haben zuschütten lassen.«
»Es steht auch noch immer kein Schwimmbad auf dem Plan.«
»Ich kann mein dreckiges Wasser nicht in ein Schwimmbad gießen.« Papa ging mit energischen Schritten in die Küche.
»War das nötig?« Eve knuffte ihren Bruder in die Seite.
»Sie haben es uns versprochen.«
»Ja, aber ich glaube nicht, dass das der geeignetste Moment
Weitere Kostenlose Bücher