Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Samarkand Samarkand: Roman (German Edition)

Samarkand Samarkand: Roman (German Edition)

Titel: Samarkand Samarkand: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Matthias Politycki
Vom Netzwerk:
Parole geträumt haben? Ihr Vater mußte ihn zweimal hereinbitten, man sah ihn im Halbdunkel seines Büros zunächst gar nicht. Oder war das alles gerade nichts als eine zufällige Bemerkung gewesen? Wie kühl es hier drinnen war, wie dunkel! Die braunen Scheiben zum Hof ließen kaum Tageslicht durch, der Raum wurde hauptsächlich von zwei Fernsehern und dem Bildschirm eines Computers beleuchtet, tonloses Geflacker, aus dem langsam ein mannshoher Plastikchristbaum hervortrat, eine Sofagarnitur, die Phototapete auf der rückwärtigen Wand (Dschungel mit Wasserfall), mehrere Lautsprecherboxen, mehrere Spiegel.
    Shochis Vater saß am Schreibtisch, vor sich einen Teller Essen, und telephonierte mit zwei Handys, zwischendurch begrüßte er Kaufner mit einem scharf skandierten »Alles Spione!«, auf Deutsch. Wie er auch gleich ein Gelächter darüber anschlug, zitterten die Spitzen seines Schnauzbarts, blitzten die Schneidezähne darunter hervor, selbst seine Streifenkrawatte leuchtete auf.
    Nachdem er seine beiden Telephonate beendet und sich erhoben hatte, um Kaufner auf Russisch zu begrüßen, sah er ihn mit gelben Augen an. »Alles Spione!« wiederholte er auf Deutsch und schüttelte ihm so lange die Hand, als hätte er ihn erkannt, durchschaut, enttarnt: »Achtung!«
    Ach was, der roch nach Knoblauch und Wodka, vor allem nach Wodka. Auch »Schlagbaum«, »Butterbrot«, »Kamerad« wußte er zu sagen, »Alles kaputt« natürlich und »Führer«; »Heil Hitler« klang bei ihm wie »Geil Gitler«. Sein Vater hatte als Sowjetsoldat in der DDR gedient und dem Sohn Einschlägiges berichtet; nun war er’s selbst, der von den deutschen Frauen schwärmte, es seien die besten, schade, daß seit einigen Jahren keine mehr kämen. Er drehte seine Krawatte um, die Rückseite zeigte eine nackte Frau mit gespreizten Beinen, und wollte Kaufner einvernehmlich anlachen, erinnerte sich aber just in jenem Moment an Shochi, die im Türrahmen stehengeblieben war, verscheuchte sie mit einer Handbewegung.
    »Shochida, meine verrückte Tochter. Na ja, man kann’s sich nicht aussuchen.«
    Als er aufbrach, die Wodkaflasche zu holen, und dabei vom Klingeln eines dritten Handys aus dem Tritt gebracht wurde, konnte Kaufner seine Gedanken ordnen. Wohin hatte ihn die Freie Feste denn hier geschickt, konnte so einer wirklich sein Kontaktmann sein? Kurz ins Handy hineinbellend, schlingerte der Inhaber des
Atlas Guesthouse
Richtung Sofagarnitur, geriet dabei in den Christbaum, verhedderte sich in den Zweigen, lachte und fluchte abwechselnd. Er mußte vollkommen betrunken und folglich gar nicht in der Lage gewesen sein, in seinem neuen Gast denjenigen zu erkennen, als der er ihm ja wohl hoffentlich von der Freien Feste angekündigt war; blitzschnell entschied Kaufner, alles bisher Gesagte könne keineswegs schon als offizielle Begrüßung gemeint gewesen sein. Indem Shochis Vater in seinen zerbeulten Hosen zurück- und halbwegs auf Kaufner zuzutappen suchte, um ihm ein kräftig gefülltes Glas in die Hand zu drücken, mußte er sich kurz an einem Plastikadler festhalten, der halbmeterhoch auf seinem Schreibtisch stand:
    Man möge ihn heute entschuldigen, er habe Anlaß zu trinken. Sein Sohn, gerade sechzehn geworden, in wenigen Wochen sei er mit der Schule fertig, mache ihm Sorgen. Weil ab Herbst das Berufscollege beginne und es mit dem schönen Leben vorbei sei, habe seine Klasse noch mal einen Klassenausflug gemacht – in die
Paradiesische Ecke
! Gut, früher oder später würde jeder richtige Mann dort landen, nicht wahr? Aber sein Sohn, offensichtlich ein Schlappschwanz, habe sich die ganze Zeit für seine Klassenkameraden geschämt und draußen auf sie gewartet. »Wie soll jemals ein Mann aus ihm werden?«
    Kaufner beschloß, daß es höchste Zeit war, und kippte den Wodka hinunter. Mit Russen zu trinken, hatte er in der NVA gelernt.
    »Sie sind also Herr Alisher Khabi… Khabibullaev?«
    »Alisher oder Sherali, seit sechsundvierzig Jahren. Sagen Sie einfach Sher. Da fällt mir ein, wir haben uns ja noch gar nicht richtig begrüßt!« Er räusperte sich, zog sich den Schlips gerade und die Augenbrauen nach oben: »Und Sie sind Herr Kaufner. Kaufner, Alexander …«
    Er schwankte, mit seinen gelben Augen nahm er den Neuankömmling umso fester ins Visier: »Wir haben Sie erwartet, Herr … Ach was, wir sind ja schon Freunde geworden, ich werde Ali sagen. Was führt Sie nach Samarkand?«
    Eine »richtige« Begrüßung, Kaufner hatte sie gar nicht

Weitere Kostenlose Bücher