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Samarkand Samarkand: Roman (German Edition)

Samarkand Samarkand: Roman (German Edition)

Titel: Samarkand Samarkand: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Matthias Politycki
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Abordnung japanischer Geschäftsleute, alle im schwarzen Anzug, wurde gerade auf Englisch erklärt, um Timurs Sarkophag ziehe sich ein Schriftband des Wortlauts: »Wer meinen Sarg öffnet, bekommt es mit einem Gegner zu tun, noch mächtiger als ich.« Gemeint sei natürlich der echte Sarg, er stehe in der Krypta direkt darunter. Als ihn die Archäologen im Juni 1941 doch einmal geöffnet hätten, sei die Sowjetunion tags drauf von Deutschland angegriffen worden.
    Wenn ihr wüßtet, dachte Kaufner. Wahrscheinlich waren Timurs Gebeine schon vor Jahrhunderten weggeschafft worden, an einen sicheren Ort, sie waren einfach zu wichtig. Wer daran glaubte, daß die Seele des Kriegers in ihnen wohnte (und auch der, der
nicht
daran glaubte, jedoch wußte, daß es seine Soldaten taten), der hütete die Knochen als kostbaren Schatz, weit weg vom Trubel des Gur-Emir. Natürlich hielt man den Kult um das Mausoleum weiterhin aufrecht, einen besseren Schutz für das tatsächliche Grab konnte es ja nicht geben. Jeder, der guten Glaubens hierher kam, um an der Macht Timurs teilzuhaben, lenkte durch sein schieres Staunen und Raunen vom Versteck ab. Wenn ihr alle wüßtet, dachte Kaufner. Wenn ihr wüßtet, daß ich weiß.
    Je heller die sieben Sarkophage rund um denjenigen Timurs schimmerten, desto dunkler stand der seine, ein polierter Jadebrocken, wie es in dieser Größe keinen zweiten gab – welch eine Macht noch dem bloßen Stein innewohnte! Kaufner konnte es spüren. Ständig lag ein Flüstern in der Luft, das sich gelegentlich zum Singsang steigerte – die Pilger, die hier aus ganz Zentralasien zusammenkamen, strömten in einer immerwährenden Prozession vorbei, entweder beteten sie selber, oder sie bezahlten einen der Vorbeter, es für sie zu tun. Viele versuchten, sich über die Balustrade zu beugen und zumindest den nächststehenden Sarkophag zu berühren. Als ob ihnen Timur, zweifellos der größte Eroberer im Zeichen des Islam, über die Jahrhunderte auch zum Heiligen geworden.
    Erst nach geraumer Zeit konnte sich Kaufner vom Bann lösen, den der Jadebrocken ausstrahlte. Der baumhohe Galgen hinter einem weiteren Sarkophag, der etwas abgesetzt von den restlichen in einer Nische stand – von seiner Spitze hing schwarz ein Pferdeschweif –, war das bereits ein Hinweis? Die unscheinbare Tür, deren Umrisse in all dem alabastergefliesten Prunk erst nach Minuten sichtbar wurden, war das etwa der offiziell geschlossene Abstieg zur Krypta? Nein, dahinter stand lediglich ein Feuerlöscher. Indem sich Kaufner zurück in den Hauptraum wandte, war eine kleine Person vor ihm postiert, die Arme in die Hüften gestemmt, als habe sie ihn gerade auf frischer Tat ertappt. Zwei, drei Mal schnappte sie nach Luft, dann plapperte es aus ihr heraus:
    Die hätten wieder ihre Hunde mitgebracht! Sie hasse sie, ihren Bruder, seine Freunde, die Hunde am allermeisten, die seien böse. Da habe sie sich lieber davongemacht. »War ja nicht schwer, Sie zu finden. Und wenn die heute wieder den armen Welpen –«
    »Sag mal«, unterbrach Kaufner, »läufst du immer so rum?«
    Wie am Vortag war sie bis auf den Sehschlitz komplett in Tücher eingewickelt. Auf den ersten Blick konnte man ihren Aufzug fast für eine verwegene Form von Burka halten, dabei war die Burka in Usbekistan ja verboten.
    Nein, erklärte Shochi, in der Schule müsse sie Uniform tragen. Aber ob in Uniform oder nicht … sie sei nun mal nicht schön. Und außerdem, die Marktfrauen machten es auch so. Wenn man weiße Haut behalten wolle, gehe es nicht anders. Die Männer legten Wert darauf, da wolle sie wenigstens in dieser Hinsicht perfekt sein. Ob er den Riß entdeckt habe?
    Den Riß in Timurs Sarkophag. Und schon erzählte sie ihm die ganze Geschichte: Ein persischer Heerführer habe den Grabstein geraubt und in seine Heimat gebracht, dabei sei er zerbrochen. Dann sei einer nach dem anderen seiner Angehörigen gestorben. Erst als der Heerführer den Rat der Weisen erfragt und den Grabstein zurückgebracht, sei er zur Ruhe gekommen. Auf dem Stein stehe nämlich –
    Den Spruch kenne er bereits, unterbrach Kaufner. Ob sie denn auch wisse, wo es zur Krypta hinabgehe?
    Zur Krypta? Eben noch von fröhlicher Redseligkeit, stand Shochi reglos da und wartete ab, als wolle sie Kaufner Gelegenheit geben, seinen Wunsch zurückzuziehen. Da man nichts anderes an ihr sehen konnte, sah man nur, wie sie blickte – ungewöhnlich intensiv aus ungewöhnlich intensiven blauen Augen. Kaufner hüstelte.

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