Samarkand Samarkand: Roman (German Edition)
mehr erwartet. Unwillkürlich nahm er Haltung an, streckte dem Patron die Rechte entgegen: »Samarkand, na ja, also, das ist doch …
Sher lachte zufrieden auf und griff nach der Hand, um sie anhaltend zu schütteln: »Richtig, Ali, ist Weltkulturerbe. ›Die Perle der Seidenstraße‹! Deshalb kommen sie ja selbst jetzt noch, die Touristen, trotz der … schwierigen Zeiten. Sie werden den ganzen Sommer bei uns wohnen?«
Kaufner lachte sicherheitshalber mit. Anscheinend hatte die Freie Feste bereits alles geregelt. Shers Augen blitzten freilich kein bißchen, um irgendein Einverständnis jenseits der Worte zu signalisieren. Schon ging es an die Formalitäten, zweimal klatschte Sher die Hände flach aneinander; weil nichts passierte, öffnete er eine rückwärtige Tür, »Wir haben Besuch!«, weil immer noch nichts passierte, wankte er hindurch, Kaufner folgte zögernd. Dahinter war, auf den ersten Blick zu erkennen, das eigentliche Büro, am Tisch saß eine füllige Frau mit flaumigem Oberlippenbart, von farbfroher Schlabberseide furios umflossen, und zählte Geldscheine. Als sie endlich aufstand, streckte ihr Kaufner die Hand zum Gruß entgegen, sie lächelte ihm allerdings nur zu, die oberen Schneidezähne blitzten golden auf, und legte kurz ihre Hand aufs Herz: Maysara, Shers Frau. Mit ihrem ersten Satz verlangte sie dem Neuankömmling den Reisepaß ab, klappte ihn mit einem einzigen Griff an der richtigen Stelle auf:
»Gamburg?«
»Gamburg.«
»Hab’ ich im Fernsehen gesehen«, mischte sich Sher ein, »brennt schon wieder.«
»Brennt öfters, ja.«
»Wie eine Kerze von zwei Seiten.« Sher lachte. »Links Türke, rechts Russe.«
Bezahlt sei ja bereits, übernahm erneut Maysara die Regie, morgen werde sie den Herrn beim Ausländerbüro anmelden, um die Formalitäten brauche er sich nicht zu kümmern. Kaufner spürte, daß sie ihn nicht mochte, er mochte sie ebensowenig. Schweigend folgte er ihr hinaus in den Hof, um den herum, ebenerdig, die meisten Zimmer lagen; dasjenige, das man für Kaufner ausgesucht hatte, befand sich hingegen im ersten Stock. Erst als vor der Tür überraschenderweise Shochi wartete – mittlerweile trug sie eine weiße Hose und darüber ein weißes Kleid, jetzt sah man ihr pausbäckiges Mädchengesicht und einen schweren schwarzen Zopf –, wandte sich Maysara erneut an Kaufner: »Entschuldigen Sie bitte«, gleich auch an ihre Tochter: »Du läßt unseren Gast bitte erst mal ankommen und verschwindest«, schon im Aufsperren der Zimmertür seufzend wieder an sich selbst: »Gibt einfach keine Ruhe, wenn sie was interessiert, der reinste Starrsinn. Wer wird so eine bloß heiraten wollen?«
»Ist sie vielleicht nur ein bißchen viel allein?« fragte Kaufner. Ohne ihre Vermummung sah Shochi wie ein normales Mädchen aus, ganz hübsch sogar. Doch davon durfte man sich bei ihr gewiß nicht täuschen lassen.
»Eine Strafe Gottes«, beschied Maysara, ohne Kaufners Frage aufzugreifen: »Haben Sie Kinder?«
Er habe nicht mal mehr eine … eine Frau. Kaufner sah den bedauernden Blick, den Maysara auf ihn richtete, bevor sie verschwand. Er warf sein Gepäck aufs Bett, kein bißchen erstaunt darüber, daß Shochi in der offenen Tür stehenblieb und ihm zusah, an einem ihrer kleinen Ohrstecker drehend.
»Bist du vielleicht auch ein bißchen zu neugierig?« stellte er sich vor ihr auf.
Shochi schnappte ein paarmal hörbar nach Luft, als ob sie zu sprechen anheben wolle, aber das treffende Wort nicht fände. Kaufner hielt ihren Blick aus. Dann inspizierte er das Bad. Inspizierte sein Zimmer. Zog den Vorhang von der Balkontür. Öffnete die Balkontür. Stand im Begriff, auf den Balkon hinauszu-
»Onkel!« Shochi hielt ihn mit ihrem Zuruf auf der Schwelle: »Ich muß Ihnen noch was sagen.«
»Du kannst mich Ali nennen«, blieb Kaufner tatsächlich stehen, »wir sind ja fast schon Freunde.« Die respektvolle Anrede als Onkel schien ihm angesichts der Geheimniskrämerei, die zwischen ihnen herrschte, wie ein Hohn.
»Ich wollte Ihnen nur sagen, daß –«
»Hör auf, mich zu siezen«, befahl Kaufner überraschend scharf, was war bloß in ihn gefahren, »dein Vater hat gesagt, ich gehöre ab jetzt zur Familie.«
Shochi stotterte etwas von ihrem Traum, den sie gehabt, mehrfach gehabt, schrecklich viel Blut sei darin vorgekommen. Seitdem sei sie in ständiger Angst gewesen. Angst um …
Kaufner begriff zunächst gar nicht, daß es um ihn ging, daß sie seinetwegen so voller Sorgen gewesen und
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