Samarkand Samarkand: Roman (German Edition)
hatte, indem er
für
ihn zu arbeiten vorgab, vielleicht hatten es andere, mit denen es Kaufner seit seiner Ankunft zu tun bekommen, ebenso gehalten?
Nach ein paar Stunden Fahrt war er am Rande der Altstadt von Samarkand gestanden, nach einem kurzen Fußmarsch auch schon mitten darin, vor dem prachtvoll mit Schnitzerei versehenen Flügeltor eines Gebäudes, das ihm als Kontaktadresse genannt worden. Seltsam, ausgerechnet hierher hatte man ihn geschickt, in ein von reichen Russen, Arabern, Chinesen, Pakistanern gut besuchtes Bed & Breakfast namens
Atlas Guesthouse.
Der besseren Tarnung halber? Dann aber stellte sich heraus, daß es von einer tadschikischen Familie geführt wurde, im Herzen einer usbekischen Stadt! Wenn das nicht von Bedeutung war – Tadschikistan sympathisierte ja mit Großrußland. Die Tadschiken in Usbekistan hingegen offensichtlich mit dem Westen. Anscheinend waren sie hier, was die Usbeken in Tadschikistan waren, eine kleine feine Oberschicht, denen es sichtlich besser ging als der restlichen Bevölkerung.
Natürlich war es Shochi gewesen, die ihm einen der Türflügel aufgestemmt und ihn dann mit einem kaum gehauchten »Allah …« in Empfang genommen hatte. Von Kopf bis Fuß war sie in verschieden gelbstichige, weiße, sandfarbene Tücher eingewickelt:
»Ich hab’ von Ihnen geträumt. Deshalb weiß ich ja, daß Sie heute kommen. Sie sind spät dran.«
Kaufner verschlug’s die Sprache. Er hatte sich einige Monate auf seinen Einsatz vorbereitet; von einem jungen Mädchen erwartet zu werden wäre ihm aber im Traum nicht eingefallen.
Warum er so spät dran sei, insistierte Shochi, er hätte doch vor Stunden eintreffen müssen. Nun habe sie’s endlich gespürt, daß er angekommen, gerade habe sie ihm entgegengehen wollen.
Dies alles auf Russisch, sehr schnell, sehr ungeduldig, selbstbewußt.
»War ich denn für heute angekündigt?«
Kaufner war noch immer völlig überrumpelt. Er versuchte abzuschätzen, ob seine kleine Empfangsdame, vielleicht die Tochter des Hauses, etwa von ihrem Vater eingeweiht worden und also auf die Parole wartete. Man sah von ihr nur die Augen, ein strahlendes Blau, schwer zu durchdringen, ja, unmöglich, ihnen bis auf den Grund zu schauen.
»Wo steckt denn …« wollte er sie loswerden, doch Shochi ließ ihn gar nicht erst zu Wort kommen:
Sie sei schon dreizehn, er könne auch mit ihr über alles reden, sie wisse Bescheid.
Nein, ihr Vater hatte nicht mit ihr gesprochen. Was der überhaupt wußte, es war auch später nie aus ihm herauszukriegen gewesen. Shochi hatte geträumt, mehrfach geträumt, daß Kaufner an diesem Tag kommen würde, jedenfalls behauptete sie es. Allerdings hatte sie den Traum für sich behalten, Kaufner dürfe niemandem davon erzählen, sonst … sonst gebe es wieder Ärger.
Kaufner wollte verschwörerhaft nicken und die Sache damit abtun. Als sie sich aber danach erkundigte, ob die drei Männer auf der Rückbank des Taxis »wirklich nett« gewesen seien, starrte er sie für einen Moment fassungslos an. War’s denn möglich, selbst solche Details zu träumen? Sein erster Tag im neuen Einsatzgebiet, und ein junges Mädchen brachte ihn bereits aus dem Konzept. Nichtsdestoweniger stand er unter Zugzwang. Er mußte sich seinen Kontaktleuten zu erkennen geben, sonst würden sie ihn für einen Touristen halten. Kaufner entschied sich, die Parole beiläufig in seine Worte einfließen zu lassen, man würde ja sehen, ob Shochi sie erkannte und mit der richtigen Replik darauf reagierte:
Nun gut, vielleicht habe er sich verspätet, als Deutscher könne er ja nicht über Moskau fliegen. »Aber zum Glück führen fast alle Wege nach … Samarkand.«
Shochi mußte die winzige Pause in seinen Worten bemerkt haben, sie zögerte mit einer Antwort. Dann entschied sie sich, den neuen Gast zu ihrem Vater zu führen, damit ihm offiziell ein Empfang bereitet und der Paß abgenommen werden konnte. Federnden Schrittes ging sie vor ihm durch den Hof, eine schwankend schwebende Tuchsäule, unter einem blühenden Baum hindurch und vorbei an Dutzenden von Blumentöpfen, einem leeren Springbrunnen. Bevor sie die Tür zum Büro ihres Vaters aufstieß und dabei ihre Schlappen abstreifte, blickte sie Kaufner noch einmal an:
»Samarkand ist ja schließlich nicht bloß für Touristen interessant.«
Kaufner hatte die in der Luft hängende Losung schon wieder vergessen, nun stand er da, wie vor den Kopf geschlagen. Samarkand Samarkand … Konnte Shochi etwa auch die
Weitere Kostenlose Bücher