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Samarkand Samarkand: Roman (German Edition)

Samarkand Samarkand: Roman (German Edition)

Titel: Samarkand Samarkand: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Matthias Politycki
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nach wie vor war. Als sie ihn allerdings zum dritten Mal fragte, ob auf der Anreise wirklich alles gut verlaufen, verjagte er sie mit einer Handbewegung.
    Vielleicht hätte er sonst noch selber zu stottern angefangen. Tatsächlich konnte er von Glück sagen, daß seine Reise nicht schon auf der Alsterkrugchaussee ihr Ende gefunden hatte. Nur weil er etwas vergessen und sein Taxi hatte umdrehen müssen, war er einem Heckenschützen entgangen, der dort von einem Abbruchhaus aus, vor allem aber: vor Einbruch der Dämmerung – und also gegen die Regeln, denen selbst dieser Krieg folgte – sein Geschäft des Tötens aufgenommen hatte. Als Kaufners Taxi dann kurz vor dem Tatort umgeleitet wurde, war außer ein paar kreuz und quer auf den Fahrspuren stehenden Autos nichts zu sehen gewesen; immerhin wurde im Radio knapp gemeldet, daß Spezialeinheiten ein Haus umstellt hatten und sich dem Schützen stockwerkweise näherten. Mehr hatte man von dem Ganzen nicht mitbekommen, schon auf dem Flughafen wollte keiner davon überhaupt vernommen haben. So war es fast immer, man hörte die Geschichten des Krieges selten bis an ihr Ende, war auf Gerüchte und Vermutungen angewiesen, der
Tagesschau
konnte man ohnehin nicht mehr vertrauen. Sicher an der ganzen Sache war nur, es hätte um ein Haar auch Kaufner erwischen können – und seine Auftraggeber hätten es wahrscheinlich nicht mal erfahren. Hingegen Tausende von Kilometern entfernt wollte ausgerechnet jenes seltsame Mädchen davon geträumt haben? Kaufner nahm sich vor, sie zukünftig nicht mehr so schnell zu verjagen. Und … erinnerte sie ihn nicht an ein Kind, das er in Hamburg gekannt?
    Einen Moment später, da er auf seinen Balkon hinaustrat, begriff er, warum ihn die Freie Feste hier einquartiert hatte: Hinter den Hausdächern ragte in nächster Nähe das Gur-Emir monumental auf, das »Grab des Gebieters«, ein gewaltiger Anblick. Das konnte kein Zufall sein. Mit ihren glasierten Dachziegeln schimmerte die Kuppel im Nachmittagslicht türkis, auf ihrer Spitze von Grasbüscheln und einem zwiebelförmigen goldenen Aufsatz gekrönt. Jetzt war Kaufner angekommen.
    Um sechs Uhr abends, es dämmerte und im Hof zwitscherten die Vögel, flog ein Schwarm weißer und schwarzer Tauben um die Kuppel herum. Mittlerweile leuchtete sie dunkelviolett. Auf den Plastikstühlen im Hof saßen russische Huren mit blondgefärbten Haaren, gelangweilt auf Gelegenheitsfreier unter den Touristen wartend, die von ihren Tagesausflügen zurückkehrten, reiche Araber vor allem, möglicherweise auch auf Einheimische. An den Mauern überall Spiegel, man konnte jede von ihnen sehen, wie sie an ihrem Tee nippte, rauchte, sich puderte, die Lippen nachzog.
    Kurz vor Einbruch völliger Dunkelheit rief ein Imam sehr leise zum Gebet, die Kuppel des Mausoleums wurde blau angestrahlt, desgleichen die beiden Minarette, die neben dem Eingangsportal standen. Der Hof unter Kaufners Balkon hatte sich geleert; nur auf der Seite, die dem Eingangstor gegenüberlag und aus einer leicht erhöhten Loggia bestand, saßen einige Jungs, tranken Bier aus der Flasche und rauchten. Sofern sie nicht ihre Hunde beschimpften, spielten sie sich, so laut es ging, russische Rocksongs von ihren Handys vor.
    Gegen Morgen hörte man es muhen, das war die Kuh von Vierfinger-Shamsi, der zwei Häuser weiter wohnte, aber das wußte Kaufner damals noch nicht. Wenig später saß er frühstückenderweise unter dem blühenden Baum im Hof – zwischen den russischen Huren, die mit ihren Freiern erschienen waren, und den Mitgliedern einer bengalischen Pilgergruppe. Es konnte losgehen.

    Als erstes ging Kaufner natürlich zum Gur-Emir. Seine Erkundungen hatten systematisch zu erfolgen, die Sehenswürdigkeiten der Stadt konnten dabei Anlaß und Vorwand liefern. Erwartungen hatte er keine, schließlich war er auf seinen Einsatz vorbereitet und wußte, daß Timurs Grab leer war, was hätte ihn dort überraschen können? Die prachtvollen Fayencen und Mosaiken wie ein Tourist bewundernd, durchschritt er das Hauptportal. Der Grabbau selbst, in tiefem Kobaltblau und strahlendem Türkis, schimmerte wie ein Palast vor ihm.
    Darinnen dann, von einer blaugolden funkelnden Innenkuppel aufs üppigste überwölbt, die Sarkophage: im Zentrum derjenige Timurs, ein schwarzgrüner Block. Umgeben von den Särgen seiner Söhne, Enkel und Lehrer, entweder in Weiß, Grau oder blassem Hellgrün. Drum herum der bunte Pulk an Reisegruppen, Pilgerscharen, Delegationen. Einer

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