Samarkand Samarkand: Roman (German Edition)
Ohne eine weitere Antwort abzuwarten, wandte sich Shochi dem Hinterausgang zu.
Draußen lachte sie ebenso unvermittelt wieder los, zwischen den oberen Schneidezähnen zeigte sich eine kleine Lücke. Den »Verrückten«, der ihr solche Freude bereitete, konnte Kaufner zunächst gar nicht sehen, er saß vor einer geschnitzten Tür auf der Rückseite des Mausoleums und beschimpfte seine Zuhörer. Offenbar ein Derwisch, der mit den Engeln geredet hatte:
Der Tag sei nicht mehr weit, da der Himmel zusammengefaltet werde wie ein Brief von seinem Schreiber. »Weh euch!« sprang er auf, die Zuhörer wichen zurück, »dann sind euch die Rosen verblüht, dann bleiben euch nur die Dornen!«
Und was derlei verzückte Schmähreden mehr waren, Shochi übersetzte ins Russische, so schnell sie konnte. Als der Derwisch seinem Publikum prophezeite, daß er bald selber den Thron der Welt besteigen werde, die Zeit sei reif, wandten sich die meisten ab, der Rest verlachte ihn. Wütend sprang der Derwisch vom einen zum anderen, drohte an, er werde nach der Predigt mit Hilfe seines Regensteins zaubern, das Lachen werde ihnen allen vergehen.
»Wo ist denn nun die Krypta?«
Die Maulbeerbäume, die im Halbkreis den rückwärtigen Teil des Mausoleums umgaben, waren voller Gezwitscher, eine Gruppe von Mädchen in weißen Blusen und schwarzen Röcken schlenderte darunter hin, offensichtlich ihre Schuluniform, einige hielten ihre Stöckelschuhe locker am Riemchen und liefen barfuß. Wie arglos sie dahingingen, Kaufner sah ihnen ungläubig nach, eine solch selbstvergessen friedliche Szene hatte er lange nicht mehr gesehen.
»Der steht genau davor«, zeigte Shochi auf den Derwisch oder vielmehr auf die geschnitzte Tür, ein gewölbtes Aluminiumblech war darüber als Dach angebracht. Wovor? Ach, vor der Krypta. »Da darf aber keiner rein, Ali! Sonst gibt es Krieg, denn in der Gruft, das weiß ja jeder, da ruht die Seele des Kriegers.«
Den Krieg gibt’s doch längst, dachte Kaufner, ihr merkt es hier bloß nicht.
»Auf dem Grabstein steht nämlich geschrieben«, fuhr Shochi in ehrfürchtigem Eifer fort: »›Jeder, der meine Ruhe stört, wird in diesem Leben bald sterben und im nächsten lange leiden.‹«
So hatte Kaufner den Spruch zwar noch nicht gehört; aber das war vielleicht egal. Auch das kurze Gewitter am Abend nahm er von seinem Balkon aus gerne hin, den Derwisch hatte er längst vergessen. Danach trommelte einer in der Loggia so anhaltend, daß die Hunde ganz verrückt wurden. Schließlich ging Kaufner hin und, in einigem Abstand vor der lässig lagernden Versammlung sich in Szene setzend, bat um Ruhe. Der Trommler hielt wortlos staunend inne, die anderen Jungs beteuerten umso lauter, es sei kein Geringerer als Firdavs! Ein berühmter Doira-Trommler, ein Star, der Onkel könne sich glücklich schätzen, daß er ihm kostenlos eine Probe seines Könnens biete.
»Verpissen Sie sich in den Arsch Ihrer verehrten Frau Mutter!« riefen sie ihm hinterher, ihr Russisch war ausgezeichnet.
In den Tagen danach hakte Kaufner den restlichen Arabeskenzauber des Weltkulturerbes ab. Arbeitete sich durch die Gräberstraße Shah-i Sinda, die sich, Mausoleum um Mausoleum, als kostbare Schneise in einen Ruinenhügel am Stadtrand grub. Suchte in den Medressen am Registan, dem alten Sand-, Markt- und Hinrichtungsplatz der Stadt. Ging von dort die Taschkentstraße mit ihren Luxusboutiquen wieder stadtauswärts, fand aber auch in der verfallenden Leere der Bibi-Chanym-Moschee nichts, was als Hinweis auf ein Versteck verstanden werden konnte. In ihrer Kuppel kreisten vier Schwalben und kreisten.
Kaufner konnte nach seinem eigenen System arbeiten, es gab keine toten Briefkästen, die beachtet, keine Verbindungsmänner, die aufgesucht, keine Mittelsmänner, die bestochen werden mußten – seit seiner Ankunft hatte er nicht mal Kontakt zu seinem Führungsoffizier. Keine Anrufe! hatte es geheißen. Am liebsten sei’s ihnen, wenn sie gar nichts von ihm hörten:
»Wenn Sie’s schaffen, kriegen wir’s mit, keine Sorge, Kaufner, dann kriegt’s die ganze Welt mit. Und wenn nicht, tja … Mit dem Tag Ihrer Abreise sind Sie für uns sowieso schon gestorben, sozusagen bis auf Widerruf.«
Mit Sonnenbrille und Hut auf traditionelle Weise getarnt, schlich Kaufner nun herum wie jemand, der ein Verbrechen begehen wollte, aber noch nicht wußte, an wem und auf welche Weise. Das heißt, an wem, das wußte er wohl. Die Frage war vielmehr, wo. Auf die Idee, es
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