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Samarkand Samarkand: Roman (German Edition)

Samarkand Samarkand: Roman (German Edition)

Titel: Samarkand Samarkand: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Matthias Politycki
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weiterwillst?« fragte er stattdessen, dabei hatte sich sein Gast noch gar nicht zu den Schmerzen im Knie geäußert. Kaufner setzte seinerseits nach, verkniff sich jedoch Januzaks Namen:
    »Wann hattest du denn das letzte Mal Besuch?«
    »Besuch von … von einem von euch? Vor einem knappen Jahr.«
    »Weißt du, was mit ihm passiert ist?«
    »Du weißt es auch, Ali.«
    Ein traurigheiterer Blick aus grauen Augen, Nazardod war nicht nur über alles im Bilde, was auf der Hochebene passierte, er kannte jedes Detail bis hinab in die Ebene. Und würde dazu schweigen, es hatte keinen Zweck, weiterzubohren. Der Gast machte Anstalten, sich zu erheben, der Gastgeber klaubte die Brotreste zusammen. Draußen wies er den Weg: In der Senke unten der
Stinkende See
, von hier aus nicht zu sehen, links gehe es nach Samarkand (er meinte die Stadt), geradeaus zum
Leeren Berg.
Er zeigte auf eine Kuppe der gegenüberliegenden Kette, staubgrau und staubgelb wie alle anderen auch, keine ausgeprägte Spitze, keine scharfen Nadeln und Lanzen aus Granit, kein gezackter Grat, keine Einsattelung, nichts, woran das Auge Gefallen oder wenigstens Orientierung gefunden hätte. Es dauerte, bis Kaufner überhaupt sicher sein konnte, den richtigen Gipfel erkannt zu haben. Und bis er begriffen hatte, daß diese ernüchternd unspektakulären Kuppen und Buckel den Westausläufer der
Kirgisenkette
darstellten (wie sie Nazardod freilich nicht nannte).
    Eine Treppe führe fast ganz hinauf, fuhr der Schäfer fort, früher sei er sie öfters hochgestiegen um zu telephonieren, oben habe man guten Empfang gehabt. Eine Treppe? Sicher, Ali, eine Treppe. Auf der anderen Seite abgestiegen sei er nie, warum auch, seine Sommerweide sei hier, seine Hütte, sein Leben. Im übrigen gebe es noch einen zweiten Weg um die Bergflanke herum, der sei zwar einfacher, jedoch länger. Ein zweiter Weg? Sicher, Ali, sicher. Im Grunde benützten ihn nur diejenigen, die direkt von Samarkand kämen (wieder meinte er die Stadt), die meisten würden dann aber nicht erst lang in seinem Tal vorbeischauen.
    »Man kann tun und lassen, was man will«, resümierte er, ehe Kaufner weitere Einzelheiten erfragen konnte, er wußte immer genau, was er sagen wollte und was nicht: »Zurückgehen will von euch keiner. Wahrscheinlich ist euch nicht zu helfen.«
    Ein beißender Rauch zog plötzlich von der Hütte herüber. Kaufner schwieg. Nazardod fügte wenigstens schnell ein paar Ratschläge an:
    »Denk dran, Ali, jeder Berg hütet sein Geheimnis. Er ist eifersüchtig auf jeden, der es ihm entreißen will.«
    »Manche behaupten, wenn man den Berg lang genug betrachtet, wird er durchsichtig. Guck immer bloß auf die Felsen, nie dazwischen, ja?«
    »Da oben gibt es komische Winde und jede Menge böser Geister, sei vorsichtig.«
    Und jede Menge Jungs, die ihren Spaß mit mir haben wollen, gibt es da oben ebenfalls, dachte Kaufner. Er hatte sein Knie mit Schlangenfett eingerieben, sein G 3 zerlegt und geölt, seinen Rucksack mit frischem Proviant bestückt, er war bereit. Es roch nach … Weihrauch? Nach Steppenraute! Kaufner blickte zur Hütte. Die beiden älteren Töchter des Schäfers waren beschäftigt, die Milch zu buttern. Zog eine der Schwestern am Band, hatte die andere entsprechend nachzugeben, dann war wieder sie mit Ziehen an der Reihe. Keine der beiden hatte einen Abschiedsblick für Kaufner übrig.
    Hinter der Hütte kam jetzt Nazardods Frau hervor, sie schwenkte einen Topf, aus dem es dunkel qualmte, und sang dazu. Auch sie nahm Kaufner gar nicht wahr, ging ein weiteres Mal um die Hütte herum, immerzu weitersingend und den Topf gegen das Mauerwerk schwenkend, Küche und Felsumwallungen nötigten ihr weite Umwege ab. Kaum war sie erneut aufgetaucht, verschwand sie auch schon in der Tür der Hütte, um das Innere auszuräuchern. Das macht sie immer, dachte Kaufner. Sie reinigt das Haus nach jedem, der hier übernachtet hat.
    Es war Zeit. Er und der Schäfer sagten sich schweigend Lebewohl, eine ganze Weile lagen all ihre Hände auf- und ineinander. Wie Kaufner an den äußeren Wallanlagen den Hang hinunterging, stand da plötzlich das kleine Mädchen am Gatter und sandte ihm einen bösen Blick hinterher. Zaragul. Ein ganzes Stück weiter unten blieb er stehen und sah sich um. Nazardod verharrte weiterhin an der Stelle, an der sie einander verabschiedet hatten, und schaute ihm nach. Sein grauer Umhang schimmerte so malvenviolett wie gestern. Dazu der weiße Turban, aus dem das Ende des

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