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Samarkand Samarkand: Roman (German Edition)

Samarkand Samarkand: Roman (German Edition)

Titel: Samarkand Samarkand: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Matthias Politycki
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der Rechten.
    Verfolgte ihn mit seinem anhaltendem Gelächter, derart dröhnend, daß das Mausoleum, nein, der ganze Berg zu wackeln begann. Kaufner rannte um sein Leben, hinaus in die Hitze, doch das Lachen rannte mit ihm, vervielfältigte sich durch sein Echo. Kaufner hastete zurück zum Registan, die Kugel mit dem blutenden Band in der Hand, jede Sekunde konnte das Lachen den Berg über ihm zum Einsturz bringen. Trotzdem wurden ihm die Beine Schritt für Schritt schwerer, bis sie ihm ganz den Dienst versagten, mit all seinem Willen kam er keinen Zentimeter mehr von der Stelle. Und
war
auch gar nicht mehr er selber, sah sich plötzlich von oben, wie er knöcheltief im Blut stand.
    Sah zu, wie er im Blut versank und nichts gegen das Sinken unternehmen konnte, dermaßen schwach war er. Je tiefer er sank, desto leiser wurde das Gelächter, desto lauter das Flüstern, der sanfte Singsang. Und weil die Melodie so wunderbar und überhaupt alles mit einem Mal so angenehm wohlig und weich war, wußte Kaufner, ein heller Moment im Traum, daß es niemand anders als der Tod war, der ihm von ferne zusang. Kaufner kannte die Melodie, doch so schön gesungen hatte er sie nie gehört. Ganz leise dazu der Herzschlag des Berges. Die Hitze von einem warmen Hauch aus der Roten Wüste davongeweht. Schön war es zu sterben, man konnte sich dabei von oben zusehen. Eine Art hellwacher Ohnmacht. Als letztes löste Kaufner auch noch die Hand von der Marmorkugel, keinerlei Bitternis verspürend. Im wohlig diffusen Licht verschwamm ihm alles zu sanft flüsternden Farben, an deren tunnelhaftem Ende ein Licht und darin der Gesang glomm. Weit über alldem schwebte er darauf zu, zu völliger Reglosigkeit verbannt, während er gleichzeitig tiefer und tiefer sank, mit allem versöhnt.
    Ach, immer nur sinken, versinken, wie schön.

    Ach, einfach nur liegen, die Wärme in allen Gliedern genießen und liegenbleiben. Spüren, wie ihm etwas Weiches den Schweiß von der Stirn strich. Während der Gesang anschwoll, verglühte das Licht am Ende des Tunnels, verblaßten die Farben, einige Sekunden später war der schöne Traum endgültig zu Ende. Zwar hielt Kaufner die Augen noch fest geschlossen, aufs friedlichste bereit zum Allerletzten, was kommen mochte, war sich jedoch bereits darüber im Klaren, daß er nicht auf dem Totenbett lag und es kein Engel war, der ihn im Jenseits weckte. Sondern … irgendwer, der ihm ein Lied zusang und dabei über die Stirn streichelte, hin und her, etwas unbeholfener vielleicht als im Traum vermeint, etwas kräftiger, her und hin.
    Noch immer war es schön, auch wenn jetzt wieder alles an ihm lebendig wurde und schmerzte, Kopf, Hals, Brust, Beine, schweißgebadet lag Kaufner in seinem nassen Schlafsack. Vorsichtig blinzelte er durch die geschlossenen Wimpern, sah direkt über sich das Gesicht des kleinen Mädchens, das ihm gestern den Ofen entfacht hatte. Aufmerksam musterte sie ihn, völlig ins Geschäft des summend singenden Streichelns versunken, des streichelnd summenden Singens, eher mechanisch in ihrer Zuwendung, nicht zärtlich.
    Wie sie ihn mit einem Mal anstrahlte, strahlte Kaufner unwillkürlich zurück. Sofort riß die Melodie ab, zuckte die Hand zurück, fror das Lächeln ein. Noch hatte Kaufner die Augen nicht ganz aufgeschlagen, da hatte sich die liebevolle Hingabe ihres Gesichts in Gleichgültigkeit verwandelt, einen Augenblick später fast in Verachtung, das Mädchen sprang auf und rannte nach draußen.
    Im Handumdrehen drängten mehrere Kinder herein, um nachzusehen, ob der Gast wirklich erwacht war, sofort auch den Ofen neu zu entfachen, die Steppdecken zusammenzurollen und an einer Wand zu stapeln, vereinzelt Gegenstände hinweg- und andere hereinzutragen, eine wuselige Geschäftigkeit ganz ohne Frohsinn und Gutenmorgengruß. In einem unbeachteten Moment konnte Kaufner gerade noch aus seinem Schlafsack heraus- und in die Hose hineinfahren. Wie kalt es geworden war!
    Hatte man sich länger in einer Schäferhütte aufgehalten und trat dann vor die Tür, war man stets geblendet. Das war heute nicht anders, die Berghänge leuchteten überwältigend taghell. Die Talsenke unter einer Staubwolke – die Herden waren auf dem Weg zu ihren Weidegründen. Auf der Uhr sah Kaufner, daß es schon viel später war, als er geglaubt hatte.
    Rund um das Herdfeuer die Frau des Schäfers, mit dem einen oder anderen ihrer Kinder flüsternd. Kein Blick in Richtung des Gastes, kein Anflug eines Lächelns. Auf dem Feuer der

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