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Samarkand Samarkand: Roman (German Edition)

Samarkand Samarkand: Roman (German Edition)

Titel: Samarkand Samarkand: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Matthias Politycki
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Dunkelheit. Der Ofen war ausgegangen, es war so still, daß man sich einbilden mußte, das Atmen der Herde von draußen zu hören. Kaufner suchte sich einzureden, er habe den Felsen nun Genüge getan und die angekündigten Träume hinter sich gebracht. Das Gegenteil war der Fall. Diesmal war er auf dem Berg, dem
Leeren Berg
, und hatte sein Ohr darangelegt, um ihm den Weg abzulauschen. Sowie er den Herzschlag des Berges vernahm, wurden die Felsen unter ihm durchsichtig, sah man von seinem Grunde Kuppeln und Minarette heraufschimmern. Bevor sich Kaufner noch schnell wegdrehen konnte, fiel er auch schon.
    Fiel nicht etwa im freien Fall, sondern einen schrägen Schacht hinein in den Berg, man mußte die Augen zusammenpressen. Mit Wucht der Aufprall ins gleißend Helle, alles an Kopf und Gliedern schmerzte. Kaufner schlug sich den Staub aus der Kleidung und ging los, zielstrebig hinein in die Stadt, als ob er sich auskannte. Im felsigen Firmament eine kupfern glühende Sonne, nach wenigen Schritten klebte ihm das Hemd am Körper. Er wußte, daß er beobachtet, daß jede seiner Bewegungen verfolgt wurde. Ständig blickte er sich um, doch die Gassen waren leer, blieben leer, eine vollkommen ausgestorbene Stadt. Nicht mal die eignen Schritte hörte man, nur das Herz des Berges, wie es lauter und immer lauter schlug, je näher man ihm kam.
    Erst an den Kuppeln des Hamam erkannte Kaufner das jüdische Viertel, erkannte die Stadt. Jetzt kam er am
Sandigen Platz
vorbei, er fühlte die Schweißperlen, wie sie ihm über Stirn und Rücken liefen. Wenige Schritte weiter sah man bergab bereits – nein, Tauben kreisten keine um die Kuppel. Gur-Emir, das gewaltige Grabmal des Gebieters. Als Kaufner seine Schritte durchs Eingangsportal setzte, war der Herzschlag angeschwollen zum Dröhnen einer riesigen Kesselpauke. Im Mausoleum eisige Kühle. Kaufner wollte aufwachen, aber seine Glieder waren viel zu schwer, er stand wie gelähmt:
    Von einer blaugolden funkelnden Innenkuppel aufs üppigste überwölbt die Sarkophage. Im Zentrum derjenige Timurs, ein schwarzgrüner Block. Umgeben von den Särgen seiner Söhne, Enkel und Lehrer, alle in Weiß, Grau oder blassem Hellgrün, Kaufner kannte sie im Schlaf. Der baumhohe Galgen hinter dem Sarkophag, der etwas abgesetzt von den restlichen in einer Nische stand – ach, das war ja Timurs Banner! Von der Spitze hingen schwarz vier Pferdeschweife. Der Sarkophag darunter – bei näherer Betrachtung war es der weiße Felsblock! Der als Thron für Timur vom Himmel gefallen. Davor, mit gekreuzten Beinen auf dem gefliesten Boden sitzend, der großmächtige Gebieter selbst, wer sonst hätte es sein können? Das Pochen seines Herzens von der Kuppel über ihm ins Ohrenbetäubende verstärkt.
    Fröstelnd erregt Kaufner, reglos der Herr der Glückskonjunktion, allergnädigste Khan und König des Diesseits. Wie schwer es fiel, sich zu lösen und auf ihn zuzuschreiten! Zusehends schrumpelte Timur dabei zum gebrechlichen Greis, mühsam hielt er seinen Rücken gerade. Er sah so aus, wie sich Kaufner den Kirgisen vorstellte, wenn man ihm die Tücher endlich vom Kopf gerissen hätte, bloß älter, viel älter. Die gleichen Augen, lidlos geschlitzt, beständig ruckend. Er sah so aus wie der Sultan, bloß verwahrlost, völlig verwahrlost. Das gleiche helle Seidengewand, sparsam mit Goldfäden durchwirkt, da und dort zerschlissen, zerrissen. Der Blitz, das Eisen, der Große Wolf in Lumpen, mit gelben Zahnstummeln und dichten Augenbrauen, dichtem Vollbart (anstelle des dünnen Schnurrbarts, den Kaufner erwartet hätte), ein Schatten seiner selbst.
    Am seidenen Halsband trug er die Korankugel, unübersehbar prangte sie ihm auf der Brust.
    Sobald er den plötzlichen Besucher bemerkte, lachte er klar und hart auf. Sowie ihm dessen begehrlicher Blick auffiel, strich er voll Stolz über die Kugel, streichelte sie mit ekelhafter Zärtlichkeit. Welch eine Macht der Kugel innewohnte! Man konnte es spüren. Ständig lag ein Flüstern in der Luft, das sich gelegentlich zum Singsang steigerte – seltsamerweise war es trotz des kriegstrommelhaften Gedröhns zu vernehmen. Mit Mühe streckte Kaufner die Hand nach der Kugel aus, erneut lachte Timur auf, regte sich ansonsten aber nicht. Als er ihm die Kugel vom Hals riß, lachte er weiter, als aus den Rißstellen des Seidenbands sogleich das Blut hervorquoll, zu Boden tropfend, schnell eine Blutlache bildend, lachte lachte lachte er, als sich Kaufner abwandte, die Kugel fest in

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