Samarkand Samarkand: Roman (German Edition)
nur langsamer, wenn der Gegenverkehr aufblendete, um sie vor einer Radarkontrolle zu warnen. Bald war Kaufner klar, daß er auf diese Weise viel herum-, aber nicht weiterkam.
Nachdem er den pensionierten KGB -General als seinen Privatfahrer verpflichtet hatte, kam er der Sache wieder näher. Obwohl der General arg langsam fuhr, viel Zeit auch mit der Suche nach geeigneten Tankstellen vertat: Bei einigen sei das Benzin schlecht, bei anderen seien die Tankuhren manipuliert, am liebsten tankte er ohnehin das billigere Propangas. Als ob das die einzigen Sorgen waren, die er sich vorstellen konnte. Sofern es nur Benzin gab, kaufte er es bevorzugt bei Bauern, literweise, da wisse man, was man bekomme. Während Kaufner unterwegs war, putzte er seinen Wagen, deshalb parkte er stets in unmittelbarer Nähe eines Bewässerungskanals. Einmal, da ihn Kaufner durch ein ausgetrocknetes Flußbett und dann über Feldwege in die Ausläufer des Nurataugebirges hineingetrieben hatte – vielleicht nur, um ihn auf Trab zu bringen –, mußte er ihm abends, zurück in Samarkand, die Waschstraße extra bezahlen. Sie bestand aus einer umzäunten Freifläche, auf der zwei kleine Jungs mit einem Hochdruckreiniger hantierten.
Ausgerechnet mit dieser Tour in die Gebirgsausläufer war Kaufner seinem Ziel näher gekommen, er spürte es. Vor den Metzgerbuden der Dörfer hingen hier ganze Schafe oder halbe Rinder, übern Weg schwirrten schwimmbadblaue Vögel, die Friedhöfe waren zwar weiterhin mit Maschendraht umzäunt, aber verwildert. Niemand außer Kaufner schien hineinzugehen, wohl um die Totenruhe nicht zu stören. Die Gräber der Reichen waren mit Gittern in Hellblau, Weiß, Rosa, Rost umgrenzt; alle anderen sowieso bloße Erdhügel, mit Gras und Unkraut überwuchert, oben und unten mit einem spitzem Stein markiert, der obere manchmal mit einem weißen Tuch umwickelt.
Natürlich keine Orte, wo man die Gebeine eines Timur angemessen hätte verstecken können! Doch von einer ganz eigenen Würde, die Kaufner in den prachtvoll renovierten Anlagen der Ebene vermißt hatte; obendrein von einer Entlegenheit, die ihn nun endgültig in die Berge hineinführte. Und wann immer er bei den Begegnungen, die er hier hatte, in die russischen Begrüßungsfloskeln einige Brocken Tadschikisch oder Usbekisch einfügte – Shochi hatte ihm Wörter aus beiden Sprachen beigebracht, wie es ihr gerade eingefallen –, wurde er ganz anders angestrahlt und willkommen geheißen als auf dem flachen Land:
Aus Gamburg? Ob das nicht an diesem Fluß liege? Im Fernsehen habe man gemeldet, dort stehe jetzt der Kalif.
Sie meinten dann doch die Rhone, so schnell konnte nicht mal der Kalif vorrücken. Oder standen seine Truppen schon am Rhein? Sofern Kaufner die Gelegenheit nützen wollte, etwas mehr über die
Faust Gottes
zu erfahren, wurden seine Gesprächspartner auf der Stelle zurückhaltend, wiesen allenfalls mit einem stummen Anheben des Kinns auf den nächstgelegenen Gebirgskamm, ehe sie sich, umso wortreicher, verabschiedeten. Der Reim, den er sich darauf machte, war einfach: Auf dem flachen Land herrschte der Präsident, im Gebirge die
Faust Gottes.
Womit die Suche auf die Bergketten des Landes gerichtet werden mußte. Als hätte ihn die Freie Feste von Anfang an ausgewählt, weil er sich bis zu seiner Pensionierung im Gebirge hatte herumtreiben müssen. Vielleicht auch nur ein Zufall, egal.
Nurataugebirge, Aqtaugebirge, Karaqchitaugebirge, Molguzorgebirge, Gobduntaugebirge, Serafschangebirge … an Bergzügen rund um Samarkand mangelte es nicht. Im Sommer ’ 27 ging Kaufner noch mit wechselnden Führern. Jedes Mal, wenn er zu einer seiner Touren aufbrach, wußte Shochi, daß er so bald nicht zurückkommen würde, manchmal blieb er wochenlang im Gebirg.
Sie werde auf ihn aufpassen, verkündete sie tapfer, werde notfalls wieder von ihm träumen. Ob er ihr ein Hufeisen mitbringen könne, ein möglichst altes, verrostetes?
Das GPS -Gerät nahm Kaufner bald gar nicht mehr mit, wahrscheinlich hatte man die Satellitensignale durch Störsender landesweit blockiert, für den Fall der Fälle. Wege, die angezeigt hätten werden können, gingen sie sowieso kaum, als Kompaß genügte die Sonne. Waldlos nackt waren die Hänge, der Schnee reichte an den Nordseiten noch auf tausendfünfhundert Meter herunter. Nur wenig tiefer wucherte der Mai, Kopftuchfrauen pflügten mit kleinen Hacken ihre steil am Berg hängenden Felder. Am Abend, im Dorf, sah man auch die Männer, sie
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