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Samarkand Samarkand: Roman (German Edition)

Samarkand Samarkand: Roman (German Edition)

Titel: Samarkand Samarkand: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Matthias Politycki
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manch brenzliger Situation herausgeholfen, seitdem die Stadt in zwei Hälften geteilt – zog sämtliches Geld aus der Hosentasche, und tatsächlich, der Anblick eines derart dicken Bündels an Banknoten brachte den Wärter auf andere Gedanken. Kaufner durfte durchatmen. Noch auf dem Rückweg reuten ihn seine Worte, wieder einmal mußte er sich eingestehen, daß er in diesem Metier nichts weiter als ein Anfänger war. Sein halbes Leben hatte er in der Waffenkammer verbracht, die andere Hälfte auf irgendwelchen Geländeübungen. Er kannte sich mit Waffen aus und mit Bergen, nicht jedoch mit den Empfindlichkeiten seiner potentiellen Gegner und damit, wie man eine weltanschauliche Nähe zu ihnen heuchelte. Hinter ihm die Kuppel, der Torbau, die gesamte Anlage in tiefem Dunkel.
    Und dennoch! Mochte er in jenen kerzenlichtbeflackerten Minuten nur knapp einem Eklat entgangen sein, er war vorangekommen: Die Faust Gottes, so hatte der Wächter Timur selbst genannt. Wer sich mit seinem Namen schmückte – und mit einer Lust der Moslems am bildhaften Sprechen, das die deutschen Kriegsberichterstatter in diesem Zusammenhang gern beschworen, hatte es nichts zu tun! –, der bezog sich unmittelbar auf Timur. Der schmückte sich mit seiner Unbesiegbarkeit. Vielleicht pilgerten ja auch die Generäle des Kalifen an sein Grab, an sein wirkliches Grab, bevor sie an die Front gingen?
    Damals war Kaufner noch meilenweit vom Turkestanrücken und dem
Tal, in dem nichts ist
entfernt. Und doch hatte er in dieser Nacht den ersten Schritt dorthin getan. Hinaus aus der Stadt. Aus jeder Stadt. Dorthin, wo das Grab Timurs versteckt war für die, die es finden sollten. Die es berühren wollten, um sich ihrer eigenen Unbesiegbarkeit zu versichern.
Wenn
einer wußte, wo Timurs Gebeine tatsächlich lagen, dann die, die selber zur Faust Gottes werden und sich fürderhin so nennen wollten!
    Aber eben sie würden das Grab, das wirkliche Grab Timurs, auch schützen. Gegen die, die dort nichts zu suchen hatten. Folglich mußte es an einem entlegenen, schwer zugänglichen Ort liegen, einem Ort, dessen Eingang man gut überwachen und notfalls verteidigen konnte. Einem heiligen Ort gleichwohl, schließlich wurde dort nicht nur ein Haufen Knochen verwahrt, sondern der Garant des künftigen Sieges, ein Symbol, das unschätzbar wertvoller war als das modernste, das bestbestückte Waffenlager.
    Jedenfalls sofern man daran glaubte. Und man glaubte daran; daß sich die Truppen des Kalifen mit einem Ehrennamen Timurs schmückten, war ein untrügliches Zeichen. Immerhin, jetzt hatte Kaufner den Namen des Feindes zum ersten Mal begriffen, jetzt hatte er eine Spur, auf die er sich setzen konnte. Die ganze Nacht pochte sein rechtes Knie. Gegen Morgen hörte er’s muhen, das war die Kuh von Vierfinger-Shamsi. Wenig später saß er zwischen den Pilgern, den Touristen, den russischen Huren, ihren Freiern und einem Polizisten, der seine Frühstücks-Blini hingebungsvoll langsam mit Rosenmarmelade bestrich.

    Zuerst fuhr Kaufner nach Shahr-i Sabs, Timurs Geburtsort. Monatelang hatte er sich auf seinen Einsatz vorbereitet; je mehr er auch weiterhin über Timur herausbekam, desto größer erschien ihm die Wahrscheinlichkeit, das Versteck aufzuspüren, das seine Verehrer für ihn ausgesucht hatten. Nicht daß Kaufner in der Ortschaft etwas zu finden hoffte. Wohl aber, wenn er von dort seinen Ausgangspunkt nähme, wie Timur vor achthundert Jahren. Der war rund um Shahr-i Sabs als Viehdieb und verwegener Reiter groß geworden, hier hätte er nach eigenem Willen auch seine letzte Ruhe gefunden, hatte sich sogar ein entsprechendes Mausoleum bauen lassen, von dem ausgerechnet die Krypta erhalten war – Timurs zweite Grabkammer, ganz offiziell in jedem Reiseführer als »leer« verzeichnet.
    Auf der Fahrt nach Shahr-i Sabs lernte Kaufner zum ersten Mal die usbekischen Berge kennen, im Ort selbst die usbekische Staatsmacht, spät in der Nacht schließlich die NATO . Der Hinweg durch Tabakfelder, direkt auf die Serafschankette zu, eine lange Abfolge stacheliger Grate von Ost nach West. Parallel zur Straße gelbe Gasrohre, Stromleitungen, Betonblöcke. Ab und zu Straßensperren. Frauen, die Kefir in Colaflaschen verkauften. Auf dem Paß wurden Nüsse, Rosinen und salzigscharfe Bällchen aus getrocknetem Käse feilgeboten, auch Wolfszähne, über die Kaufner damals noch den Kopf schüttelte.
    Eigentlich hatte er mit einem pensionierten KGB -General fahren wollen, der auf dem

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