Sambanächte mit dem Playboy
unrasiertes Gesicht im Spiegel sah. Es war eine weitere lange, enttäuschende Nacht gewesen. Keine der Frauen, die ihm in London begegneten, gefiel ihm. Alle waren sie viel zu knochig, trugen tonnenschweres Make-up und färbten sich die Haare allzu blond. Man konnte durchaus sagen, dass er übersättigt war. Vielleicht hatte Nacho recht, und er sollte nach Argentinien zurückkehren, um sich eine kultivierte, glutäugige Schönheit voll südamerikanischen Feuers und Leidenschaft zu suchen. Eine Frau, die ihm nicht nur im Bett gewachsen war, sondern auch seine Lebenslust teilte.
Zumindest wäre das auch der Typ Frau, der seinem Bruder Nacho guttun würde. Vielleicht würde sie es schaffen, dass er den permanenten Kriegermodus mal ablegte, dachte Ruiz amüsiert, während er die Haustür abschloss.
Ihm wäre nicht im Traum eingefallen, dass das Schicksal für ihn einen ähnlichen Weckruf bereithalten könnte …
1. KAPITEL
Ich habe immer Tagebuch geführt. Man könnte mich eine zwanghafte Schreiberin nennen. Ich habe gehört, dass Menschen ihre Gedanken oft aufzeichnen, wenn sie niemanden haben, dem sie sich sonst anvertrauen können.
Das ist der erste Tag meines neuen Lebens in London. Gerade fährt mein Zug im Bahnhof ein, weshalb ich mich kurzfassen muss. Eigentlich gibt es nur zwei Regeln, die ich in diesem neuen Leben beherzigen will:
Verlasse dich ausschließlich auf dich selbst.
Keine Männer – zumindest nicht, solange ich mich nicht als Journalistin etabliert habe und bestimmen kann, wo es lang geht.
Es war die Geräuschkulisse in London, der ständige Verkehrslärm und die großen Menschenmengen, an die man sich gewöhnen musste, wenn man gerade erst aus einem kleinen Ort auf dem Land in die Hauptstadt gekommen war. Die Tatsache, dass Hollys Wintermantel völlig durchnässt und sie selbst ziemlich durchgefroren war, machte es nicht unbedingt besser. Ihre langen roten Haare klebten in feuchten Strähnen an ihrem Rücken.
Wie hatte nur alles so schiefgehen können?
Immerhin hatte sie den Beginn ihres Jobs beim ROCK! Magazine genau geplant. Er fiel mit dem Angebot ihrer besten Freundin aus Schultagen zusammen, so lange in ihrem Apartment in London zu wohnen, bis sie etwas Eigenes gefunden hatte. Also wie kam es dann, dass sie jetzt vor einer Tür stand, die von einer völlig Fremden geöffnet worden war, die nicht mal ihren Namen kannte?
Holly wischte sich den Regen aus dem Gesicht, kramte ihr Handy aus der Tasche und versuchte erneut, ihre Freundin Lucia zu erreichen.
„Lucia?“, rief Holly ganz aufgeregt und sprang dabei zur Seite, um einer von einem vorbeifahrenden Auto aufgespritzten Wasserfontäne aus dem Weg zu gehen. „Lucia – kannst du mich hören?“, schrie Holly über den Lärm von quietschenden Reifen, hupenden Autos und einem Schlagzeug hinweg …
Ein Schlagzeug?
„Holly!“, kreischte Lucia gleichermaßen aufgeregt. „Bist du’s wirklich?“
„Wo bist du, Lucia?“
„St. Barts. Kannst du das Meer hören? Holly, es ist so traumhaft hier. Du würdest es lieben …“
„St. Barts in der Karibik?“, unterbrach Holly sie konsterniert und zitterte unter einer neuerlichen Attacke von Wind und Regen. Lucia stammte aus einer äußerst wohlhabenden argentinischen Familie, insofern war alles möglich. „Ist es dort nicht mitten in der Nacht?“
„Keine Ahnung … Wir feiern noch!“, schrie Lucia, als müsse sie ihre tausend Freunde neben ihr übertönen.
„Also … hast du meine SMS nicht bekommen?“, fragte Holly vorsichtig.
„Welche SMS?“ Lucia klang völlig ahnungslos.
„Die, in der ich dein Angebot, so lange bei dir zu wohnen, bis ich eine eigene Bleibe gefunden habe, mit Freude angenommen habe.“
„Ich komme gleich … komme gleich.“ Lucia hatte offensichtlich die Hand über das Telefon gelegt und lachte laut. „Die Verbindung ist wirklich schrecklich, Holly“, gestand sie, wobei die Vokale leicht verwischten. „Warum schnappst du dir nicht den nächsten Flieger und kommst rüber?“
Ähm, keine Kohle? Kein Bikini? Keine Absicht, sich vor einem Leben zu drücken, das ohnehin schon halb den Bach runtergegangen war …
Holly verkniff sich die Bemerkung, dass sie und Lucia zwar auf dieselbe Schule gegangen waren, aber während Holly das nur durch ein Stipendium ermöglicht worden war, hatte Lucias Familie dem Internat eine neue Sporthalle gesponsert, ein Schwimmbad von olympischen Ausmaßen und einen Reitstall. Oh ja, die St. Bedes Mädchenschule
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