Samtpfoten im Schnee
meine Liebe.«
9. Kapitel
Grace bewohnte wieder dieselben Zimmer wie zu der Zeit, als ihre Mutter mit Edward verheiratet gewesen war. Und obwohl ihr diese vertraut erschienen, musste sie feststellen, von ihrer Umgebung offensichtlich nie richtig Notiz genommen zu haben.
Erst jetzt, nach einer langen, schlaflosen Nacht, konnte sie auf Treu und Glauben beschwören, dass an der Zimmerde-cke genau sechs Engel, vier Harfen, zwölf Wolken und eine Eva zu sehen waren, die einen Apfel in der Hand hielt. Die Wände schimmerten rosa, wenn die Dämmerung anbrach.
Und das Ticken der Uhr wurde nur vom Bellen des Hundes draußen vor ihrem Fenster übertönt.
Es letztlich leid gewesen zu sein, auf den Schlaf zu warten, der doch nicht mehr kommen würde, war Grace schließlich aufgestanden, in ein warmes, zimtfarbenes Wollkleid geschlüpft und hatte sich auf den Weg die Treppe hinunter in die Bibliothek gemacht.
Sie verspürte nicht den Wunsch, sich den anderen anzuschließen und das Frühstückszimmer aufzusuchen. Nicht, ehe es ihr gelungen war, die verwirrenden Gefühle zu ord-nen, die sie die ganze Nacht hindurch gequält hatten.
Alles ist höchst schwierig, gestand sie sich ein. Bevor Alexander nach Chalfried gekommen war, hatte sie sich nie schlaflos die ganze Nacht in ihrem Bett hin und her ge-wälzt oder war von Bildern verfolgt worden, in denen sie in den Armen eines Mannes lag. Nun ja, bevor Alexander hierher gekommen war, hatte sie auch nie russische Liebeslie-der gesungen oder im Schnee gespielt oder Stunden damit zugebracht, mit jemandem über sich zu reden. Und ganz gewiss hatte sie niemals so viel Zeit damit verbracht zu lachen.
Ginge es um irgendeine andere Frau, so hätte Grace von dieser behauptet, dass sie verliebt sei. Aber was sie selbst betraf, so war sie viel zu vorsichtig, um in Liebe zu einem Gentleman zu entbrennen, der dieses Gefühl unmöglich erwidern konnte.
Oder war sie es doch nicht?
Mit einem unmerklichen Kopfschütteln über sich selbst betrat Grace die Bibliothek und blieb wie angewurzelt stehen, als sie sich Mr. Wallace gegenübersah.
»Oh.« Beim Anblick seiner schwammigen Gestalt musste Grace ein Schaudern unterdrücken. Über einer burgunder-roten Weste trug er einen engen Überrock aus rosafarbenem Satin und sah eher nach einem Bonbon als nach einem Gentleman von guter Erziehung aus. Unglücklicherweise war er weitaus unbekömmlicher als ein Bonbon, es sei denn, man hatte diesem eine Prise Gift hinzugefügt.
Offenbar über die Maßen von ihrem unerwarteten Erscheinen höchst erfreut, vollführte Mr. Wallace eine tiefe Verbeugung. »Guten Morgen, Miss Honeywell, und frohe Weihnachten darf ich hinzufügen.«
Hin und her schwankend zwischen den guten Manieren, die ihre Mutter ihr gewissenhaft eingepflanzt hatte, und dem Bedürfnis, so viel Abstand wie möglich zwischen sich und diesen unangenehmen Menschen zu bringen, zwang sich Grace zu guter Letzt zu einem kühlen Lächeln.
»Danke.«
»Sucht Ihr den Fuchs?«
Grace zögerte. Sie hatte nicht den Wunsch zu bekennen, dass sie auf der Suche nach einem Ort gewesen war, an dem sie über ihr zauderndes Herz nachgrübeln könnte. Überdies könnte eine Verlobte es kaum leugnen zu wünschen, mit dem geliebten Mann zusammen zu sein.
»Ja.«
»Ich glaube, er ist zurzeit von Lady Falwell in Anspruch genommen.« Mit erhobener Hand wies er zum Fenster.
Sich kaum der Schritte bewusst, die sie tat, trat Grace nä-
her, um hinauszuschauen. Alexander und Lady Falwell standen auf der Terrasse. Ihr Herz machte einen schmerzvollen Sprung, als sie sah, wie liebevoll Alexander die Hand seiner Begleiterin hielt, während er in ihr Gesicht hinunterschaute, das sie zu ihm emporgewandt hatte.
Wenigstens verstehe ich jetzt, was Mr. Wallace in dieses Zimmer gezogen hat, dachte Grace mit einem Anflug von Abscheu. Sie hatte gewusst, dass es nicht die Liebe zur Lite-ratur hatte sein können.
»Ich werde später mit ihm reden«, murmelte sie.
Als Mr. Wallace sah, dass Grace zu gehen beabsichtigte, ergriff er kühn ihren Arm. »Sie ist sehr schön, nicht wahr?«
Grace schauderte bei seiner Berührung zusammen. Was konnte sie sagen? Lady Falwell war ohne jeden Zweifel die schönste Frau, die sie je gesehen hatte. So wunderschön, dass es ein Wunder wäre, wenn ein Mann nicht ihrem Zauber verfallen würde, dachte Grace und spürte einmal mehr einen schmerzlichen Stich.
»Ja, das ist sie. Lord Falwell ist ein sehr glücklicher Gentleman.«
Wallace
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