Samtschwarz - Page, S: Samtschwarz
Brief.
Ich bin in furchtbaren Schwierigkeiten. Du musst heute Abend zu dieser Adresse kommen. Zwar musst du eine Maske tragen, aber du wirst eingelassen werden, dessen bin ich mir sicher. Sei vorsichtig – dieses Haus ist einer der Treffpunkte bei der erotischen Schnitzeljagd, aber ich weiß, du wirst einen kühlen Kopf bewahren, und ich habe sonst niemanden, den ich um Hilfe bitten könnte.
G
Maryanne starrte auf den Brief in ihren Händen. Sie konnte auf den ersten Blick erkennen, dass die Adresse in einer zwielichtigen Gegend lag.
Aufregung ergriff Besitz von ihr.
Es war verrückt, dorthin zu gehen.
Doch was war mit Georgiana?
Sie könnte einen der Detektive aus der Bow Street engagieren.
Doch womit sollte sie ihn bezahlen? Mit Freiexemplaren erotischer Werke?
Außerdem war es so, dass sie in schrecklicher Versuchung war, einige Erfahrungen selber zu machen, nachdem Venetia ihr einen Einblick in die schmutzige, schockierende, lüsterne Welt des Lord Swansborough gegeben hatte.
Nur noch ein einziges Glas Champagner, um sich Mut zu machen.
Maryanne reichte ihre leere Sektflöte einem barbrüstigen maskierten Diener, der damit davoneilte. Sie konnte nicht an ders, als seine deutlich hervortretenden Muskeln unter der sonnengebräunten Haut anzustarren, die einen starken Kontrast zu seiner gepuderten Perücke und den schwarzen Hosen darstellten.
Die Einladungskarte, die Georgiana ihr geschickt hatte, hatte Maryanne Zutritt zu Mrs. Masters Salon verschafft, aber nun fühlte sie sich, als wäre sie direkt in der Hölle gelandet. In der Hölle war es sicher ebenso heiß, ebenso laut, und es roch wahrscheinlich ebenso seltsam. Im östlichen Stil dekoriert, war der Salon eine prächtige Höhle in Gold und Scharlachrot, in Samt und Seide. Überall auf den Ruhebetten und dem Fußboden waren Kissen verteilt. Paare und Gruppen genossen sinnliche Freuden in den erstaunlichsten und erotischsten Stellungen.
Hinter ihrer Maske wurden Maryannes Wangen heiß. Sie schob die auf lange Fäden gereihten glitzernden roten Perlen beiseite, die von einer Deckenlampe herabhingen.
Die meisten Frauen, die sich durch den Raum bewegten, waren völlig nackt und ermutigten die gut aussehenden Gentlemen, sie zu begrapschen, zu kneifen oder sie an jeder nur möglichen Stelle zu küssen, bevor sie sie zum Spiel auf den Kissen einluden. Einige wenige trugen keusche Gewänder aus blasser Seide, ähnlich wie sie, sodass sie sich wenigstens nicht völlig fehl am Platz fühlte.
Wie sollte sie in diesem Gedrängel Georgiana finden?
„Sie müssen am Verdursten sein, meine Liebe.“
Jemand drückte ihr ein volles Glas in die Hand. Als sie sich halb umwandte, verbeugte sich ein Gentleman vor ihr. Es war Lord Craven. Fast hätte sie das Glas fallen lassen, das er ihr gereicht hatte. Lord Craven kam in vielen Büchern ihrer Autorinnen vor. Doch die Art von Liebesspielen, die er bevorzugte, verursachte ihr Albträume.
Mit einem strahlenden Lächeln auf den Lippen nahm er ihr das Glas wieder aus der Hand. Craven war ein gut aussehender Mann, ein Gentleman mit hellem Haar, engelhaften blauen Augen, langen goldenen Wimpern und einem schmalen, zartgliedrigen Körper. Er hielt ihr das Glas an die Lippen. „Ein so köstliches Getränk sollte nicht verschwendet werden.“
Das Glas war kleiner als jenes, aus dem sie zuvor den Champagner getrunken hatte, und die Flüssigkeit, die es enthielt, hatte den satten Ton von Burgunder. Konnte es schaden, daran zu nippen?
Craven hielt das Glas immer noch an die Lippen, und der Likör war süß, berauschend und verführerisch. Sie trank weiter. Als er lachte, sah sie, dass sie das Glas bis auf den Grund geleert hatte.
Er zwinkerte ihr anzüglich zu und hob die Hand. Sofort wurde ihnen ein Tablett mit Champagner gereicht. „Um den Gaumen zu reinigen.“
Er hatte recht. Das Getränk klebte ihr ekelhaft süß auf der Zunge. Sie nahm den Champagner. Er griff ebenfalls nach einer Sektflöte und leerte sie in einem Zug. „Wagen Sie es, meine Liebe?“
Sein Lächeln verwirrte sie. „Ich bin kein Dummkopf, Mylord.“ Hastig stellte sie ihr unberührtes Glas auf ein Tablett, das soeben vorbeigetragen wurde. Sie war nicht verpflichtet zu tun, was Lord Craven ihr sagte.
„Ah, das scheue, hübsche Kätzchen hat sich in eine Löwin verwandelt.“ Sein Grinsen wurde zu einem erfreuten Lächeln.
Maryanne dämmerte der Grund für seine Freude. Die meisten Huren hätten sich nichts daraus gemacht, sich zu betrinken.
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