Samtschwarz - Page, S: Samtschwarz
denen seine Schwester den Zettel zusammengefaltet hatte. Es war so gut zu wissen, dass sie nun in Sicherheit war, dass sie nun Lady Moredon war. Er schuldete Sophia unendlich viel dafür, dass sie damals Anne in ihre Obhut genommen und beschützt hatte. Wenn sein verrückter Onkel die Möglichkeit gehabt hätte, hätte er Anne als Pfand benutzt.
Zur Hölle, das alles war so lange her. Und doch fühlte er immer noch, wie die kalte Hand der Angst nach seinem Herzen griff.
Um sich zu vergewissern, dass alles in Ordnung war, öffnete er Annes Brief und las ihn noch einmal bei Tageslicht, das durch die Spalten in den Gardinen ins Zimmer fiel.
Ich will nicht nach London kommen und mich in die Obhut eines Arztes begeben. Unter den wachsamen Blicken von Mrs. Castle, der örtlichen Hebamme, wird alles wunderbar verlaufen. Wirklich, du machst dir zu viele Sorgen. Außerdem ist es viel zu spät für mich, um nach London zu reisen. ich kann mich kaum noch bewegen.
Und Moredon wartet schon ungeduldig auf die Jagdsaison – er ist ziemlich besorgt, das Kind könnte sich noch sehr viel Zeit lassen, und dadurch würde sich dann für ihn der Beginn der Saison verzögern. Denn schließlich, Himmel, hätte sein Erbe schon vor einer Woche geboren werden sollen. Er ist einerseits besorgt und andererseits begeistert, weil er meint, diese Verzögerung würde bedeuten, dass sein Sohn einen starken Charakter hat. Natürlich glaube ich, dieser Beweis von Entschlossenheit weist darauf hin, dass unser Kind ein Mädchen ist. Obwohl ich, weil es von mir erwartet wird, ergeben auf einen Jungen hoffe, wenigstens werde ich mir dann nicht mehr die wohlmeinenden Ratschläge anhören müssen, wie man einen Sohn zeugt.
Du musst dich auf die Suche nach einer passenden Braut machen, mein liebster Bruder, und dein eigenes Kinderzimmer füllen. Ich denke, das ist die Lösung, denn dann wirst du wohl kaum noch Zeit haben, dich um meine Angelegenheiten zu kümmern …
Während er die letzten Zeilen las, konnte er fast das Lachen hören, mit dem sie sie geschrieben hatte, ebenso wie das wenig damenhafte Schnauben, welches sie hören ließ, wenn etwas sie erheiterte. Sie verstand ihn nicht. Er hatte sein Leben damit verbracht, auf Anne aufzupassen und sie zu beschützen. Ein Mann konnte nicht so leicht aufhören, sich um seine Familie zu sorgen.
Nicht einmal, wenn ein guter Ehemann ihm die Verantwortung abnahm.
Ob sie ihm auch so fröhliche Briefe schreiben würde, wenn sie wüsste, was er getan hatte? Wenn sie die Wahrheit kennen würde? Würde sie ihm dann verbieten, seinen Neffen oder seine Nichte zu sehen?
Schon bald würde seine Schwester ihn zum Onkel machen, und das Wort Onkel verursachte einen bitteren Geschmack in seinem Mund.
Es gelang ihm immer noch nicht, den Anblick des toten Simon zu vergessen. Die fassungslose Miene, die glasigen, leblosen Augen. Das perverse Bedürfnis, sich selbst zu bestrafen, hatte Dash dazu veranlasst, aus der Ferne zuzusehen, als sein Cousin beerdigt worden war. Seit jenem Tag verfolgten ihn die Erinnerung an das aschfahle Gesicht und die in sich zusammengesunkene Haltung seines Onkels, und seltsamerweise hatte es ihn besonders getroffen, dass dieser Mann wie betäubt durch den Verlust seines ältesten Sohnes war, weil sein Onkel ihm früher so viel Angst eingejagt hatte. Er hasste seine Onkel, aber er konnte sich Simons Tod nicht verzeihen. Zehn Jahre waren seit Simons Tod vergangen, Tausende von Nächten, die erfüllt waren von perversem Sex und Strömen von Alkohol – und er konnte immer noch nicht vergessen.
Dash reckte sich nach dem Zugband der Glocke und zerrte daran, um den Diener herbeizurufen. Dann schloss er die Augen, und sofort sah er die Szene in Mrs. Masters Salon wieder vor sich …
Er hatte geglaubt, Robert wüsste nicht genau, was Simon zugestoßen war. Dann, in der vergangenen Nacht im Salon, als Roberts Hand sich schwer auf seine Schulter gelegt und Dash sich umgewandt hatte, sodass ihm von seinem Cousin das Wort Mörder direkt ins Gesicht gespuckt wurde, hatte er für einen Moment das Gefühl gehabt, nun sei der Gerechtigkeit endlich Genüge getan.
Der sturzbetrunkene Robert hätte ihn in der vergangenen Nacht zum Duell fordern sollen. Schon früher hatte Dash darüber nachgedacht, was er in diesem Fall tun würde: in die Luft schießen, seinen Schuss sinnlos vergeuden und dann abwarten, ob sein Cousin ihn wirklich töten wollte, ob das Schicksal ihm diese Strafe zugedacht hatte.
Robert
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